Hurra, wir reparieren noch

Und wenn wir nicht mehr weiterwissen, dann reparieren wir beflissen. Die Ars Electronica schaute dieses Jahr erstaunlich analog in die Zukunft und gab sich ökosozial gesellschaftskritisch. Technologische Spielfelder wurden der Kunst nur am Rande eingeräumt. Ach ja, und die Tabak­fabrik gab als Kulisse den Hauptdarsteller.

Die Ars Electronica profitierte vom Schauplatz Tabakfabrik und verlor sich nicht nur im Areal.

Die Abendsonne legte sich spätsommerlich auf den Hof, irgendwo trollten sich die Hasen, die hier am Gelände leben und Richtung Ludlgasse gefiel sich der Bau 1 in seiner galanten Kurve. Die Linzer Tabakfabrik, Ende Au­gust 2010. Eine postindustrielle Idylle, die zustande kam, weil ein Ta­bak­mul­ti einen an und für sich rentablen Standort dichtmachte. Die leer stehenden Gebäude erkor sich die heurige Ars Electronica zum Schauplatz. Am Ort einer kleinen Wirtschaftskrise sollte der globalen begegnet werden, und die Ars Electronica schrieb sich das Motto „repair – Sind wir noch zu retten?“ auf die Fahnen. Man thematisierte nichts weniger als den Repa­ra­tur­bedarf der Welt und präsentierte die dazugehörigen Handreichungen für eine bessere Zukunft: Mit 3D-Plotter decken wir unseren täglichen Pro­dukt­bedarf, das Filzen von löchrigen Wollsachen (fragen Sie die Oma) ersetzt den Kleiderkauf und unsere Gemüse ziehen wir – urban und doch post-konsumistisch – in ausrangierten Einkaufswagen groß.

Vorbei also die Zeiten der hochtechnologischen Zukunftsentwürfe, wir sind aus allen Wolkenstädten gefallen und am Boden der maroden Tatsachen an­ge­langt. Als da wären: Plastikstrudeln in den Weltmeeren, durch den regu­lä­ren AKW-Betrieb morphologisch veränderte Insekten oder quer durch Nord­amerika reisender Müll. Die Ars Electronica 2010, sie hatte sich nicht zu­letzt den Umweltproblemen verschrieben. Vortragende wie Richard Sen­nett („The Craftsmen“) Christian Felber („Gemeinwohlökonomie“) und Frithjof Berg­mann („Neue Arbeit, neue Kultur“), Stände von Slow Food und Bio­bau­ern komplettierten das Bild: Die diesjährige Ars hat sich neu erfunden, als öko­soziale Messe mit angeschlossener Kunstschau. An einer Tradition hat man aber dennoch festgehalten, jener des liebenswerten Chaos. Zur mäßig gelungenen Beschilderung gesellten sich am Gelände postierte Guides, die man aber besser nicht nach dem genauen Weg oder nach gerade laufenden Veranstaltungen fragte.

Vor allem die Schauplätze der Kunst waren nicht immer leicht zu finden (Hat sich bitte eine/r im Magazinbau ausgekannt?), dafür wurde die Reise mit einigen schönen Installationen belohnt. Einmal abgesehen von den wohl­präsentierten Prix-Preisträgern, waren diese jedoch meist analoger Natur: Plastiksackerl auf Wäscheleinen, geschlechtlich manipulierte Aktfo­to­gra­fien und Aquarelle von verstrahlten Blattwanzen durften sich über ganze Stockwerke ausbreiten. Alles fein, alles sehr schön, aber halt keine digitale Kunst an sich. Und doch gab es sie: Spielentwickler und Medienkünstler prä­­sentierten ihre Arbeiten zusammengepfercht in den reichlich verwinkel­ten Etagen des Magazinbaus. Auch dort fand das Thema Reparatur seinen thematischen Niederschlag, mitunter in biogenetischer Hinsicht. Die technologische Verbesserung des Menschen (z. B. ein Solarimplantat in der Schä­del­decke) erfuhr jedoch keine Diskussion, sondern durfte sich als L’Art pour l’art und freies Gedankenexperiment präsentieren. Wir lernen: Auch das Re­parieren kennt eine moralische Hackordnung.

Abseits davon war die Botschaft klar und breit kommuniziert. Nach der Fi­nanzkrise, der Wirtschaftskrise und dem kompletten Vertrauensverlust in al­le althergebrachten Autoritäten (Festivalleiter Gerfried Stocker bei einer Po­diumsdiskussion) stehen die Veränderungen unaufhaltsam vor der Tür. Den kleinteiligen Alternativen zur global strukturierten Wirtschaft gehört die Zukunft. Und anstatt uns aus der Krise zu produzieren, als ob nichts ge­wesen wäre, sollten wir erst einmal den Status quo nachhaltig (!) in Stand setzen. Vom Elektroauto bis hinunter zum Schreibtisch mit Pflanzenkisterl reichte das zugehörige technologische Spektrum. Der Rettungsring wurde in weitem Bogen ausgeworfen und die Kunst durfte sich auch ein wenig da­ran klammern. Immerhin hieß die Werkstätte zur Pappmöbelproduktion „Papp­Lab“, ein Schelm wer hier an Future denkt.

Zu guter Letzt war aber alles Jubelmeldung. Über 90.000 Besucher will man gezählt haben, die Ars Electronica am größten bisher bespielten Gelände war also ein voller Erfolg. Wie viele davon „Tschickbude“-Schauen waren, sei dahingestellt, und das ist ja auch nicht seriös herauszurechnen. Neben­dar­steller war die Tabakfabrik jedenfalls keiner, nicht zuletzt, weil die heurige Ars inhaltlich ziemlich mäanderte. Ihren Anspruch, ein Festival für Kunst, Technologie und Gesellschaft zu sein, hat sie diesmal in umgekehrter Reihenfolge zu erfüllen versucht. Auf den Punkt gebracht wurde diese Trias nicht. Immerhin ließe sich auch das in Zukunft reparieren.

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10/10
FotoautorInnen: 
rubra

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