„Keine fertigen Orte“
Für die Ausstellung „Clips“ (www.clips-ausstellung.de) im Berliner Kunstverein Tiergarten (Frühjahr 2007) hatte der co-kuratierende Herbert Christian Stöger folgende Idee geboren: Bildende KünstlerInnen wurden aufgefordert, sich und ihre Arbeit in einem 20-sekündigen Werbeclip zu präsentieren. Mehr als vierzig Kunstschaffende folgten dem Aufruf. Die Resultate reichten von selbstironischer Reflexion der eigenen Künstlerexistenz (etwa die Österreicherinnen Petra Wimmer und Margit Greinöcker, die das austriakische Dirndl-Klischee auf die Spitze trieben) bis hin zum grotesken Medienporno (der ziemlich dicke Franzose Justin Sanchez in BH und Slip). Stöger selbst kreierte für seinen Clip eine „Künstlerklappe“. In dieser lassen sich ungeliebte Künstler entsorgen.
Treffen mit Stöger zum Interview in der Linzer Stadtwerkstatt, so um den 20. Jänner herum. Das Problem für den Interviewer: Stögers ungemein vielfältiges Werk. Angenehm, dass Stöger nicht mit abgelutschten Mode-Begriffen wie „multimedial“ und „interdisziplinär“ um sich wirft. Ihm ist ganz einfach jede Ausdrucksform willkommen. Dennoch, womit beginnen? Also, was hat es mit der „Künstlerklappe“ auf sich? Ein bissig-sarkastischer Kommentar dazu, dass sich KünstlerInnen gegenwärtig ökonomischen Gegebenheiten zu fügen hätten, ansonsten wären sie zu Entsorgende? Stögers Antwort weicht erfrischend vom verbreiteten Kulturpessimismus (auch des Autors) ab. Auf die Idee sei er gekommen durch die „Babyklappe“, wo ungewollt schwanger gewordene Mütter ihr Baby abgeben können. Stöger: „Mit einem Baby ist es wie mit einem Künstler, du weißt am Anfang nie, was du davon hast.“
Wie ein Baby die Welt immer wieder neu entdecken: Diese Neugier hat Stögers Schaffen von Anfang an geprägt. 1968 in Linz geboren, besuchte Stöger später die Hauptschule und absolvierte eine Lehre als Fotokaufmann (der Vater habe ihn dazu „gedrängt“ – ganz in der Art, damit der Bub „was G’scheit’s“ lernt). Nach dem Zivildienst besuchte Stöger fünf Jahre die damalige HBLA für Kunstgewerbe. Danach studierte er an der Linzer Kunstuni Bildhauerei und ein Jahr an der Hochschule der Künste Berlin.
Die 1990er waren für Stöger eine Zeit des radikalen Experimentierens. Performances an allen möglichen Orten mit wechselnden Partnern, doch davon kam er irgendwann wieder ab: „Performances haben keinen Bestand, davon bleiben bestenfalls ein paar Fotos.“ Versuche auf literarischem Gebiet, etwa die Zeitschrift der „Anonymen Freunde“, in der Texte ohne Autorennamen abgedruckt wurden. – Zwischenstopp, nachgefragt, das Thema Eitelkeit: Ob diese Stöger fremd sei (viele männliche Schreibende schreiben, damit sie zett Be bei Frauen gut ankommen – Selbstbeobachtung des Autors)? Nein, meint Stöger, das Künstler-Ego stehe bei ihm nicht im Vordergrund: „Eine Arbeit muss zuerst mir selber gefallen. Erst dann hat es einen Sinn für mich, dass ich sie gemacht habe.“
Das Medium Text prägt bis heute Stögers Werk. Für die Thomas Bernhard-Ausstellung im Linzer Stifterhaus (2001) „zensierte“ Stöger Bernhards Roman „Holzfällen“ (in Anspielung auf den „Skandal“, den das Buch bei seinem Erscheinen verursacht hatte und der zur Streichung einiger Stellen führte). Stöger strich sämtliche Verben und versah die so bearbeiteten Seiten mit dem Stempel „Zensurstelle Linz“. Diese Arbeit wird er heuer im Juni fortsetzen, er hat ein Literaturstipendium in der Villa Stonborough-Wittgenstein in Gmunden erhalten. Sein Vorhaben: Aus eben den verbliebenen Verben, in der ursprünglichen Reihenfolge, einen eigenen Text zu verfassen.
Dieses Anstoßen-lassen von außen brauche er, um Ideen zu entwickeln, erzählt Stöger. Sei es die Inspiration durch Texte, Bilder oder Gespräche (Dies im Gegensatz zum leider bis heute von bornierten und ignoranten Menschen gehuldigten Künstlergenie, das in der einsamen Dachstube aus sich selbst Meisterwerke gebiert). Ein solcher Anstoß führte schließlich zum jüngst erschienenen „Krimi“ „Im Schatten der Heringe“ (Resistenz Verlag), den Stöger gemeinsam mit dem Linzer Kabarettisten Günther Lainer verfasste. Am Anfang stand ein E-Mail von Lainer, Stöger antwortete. Das ging dann länger so hin und her, bis sich eine Geschichte herauskristallisierte. Stöger: „Irgendwann hab’ ich beschlossen, einen Schluss zu schreiben. Und dann wollten wir schauen, dass wir das Ganze bei einem Verlag unterbringen.“
Am Ende sprechen wir über Stögers zweite Heimat Berlin, wo er neun Jahre eine Wohnung hatte. Naturgemäß hat er auch in Berlin künstlerische Projekte entwickelt. Sehr witzig etwa die Serie „Weniger ist mehr“, wo auf Fotos hauptsächlich der breite Rücken eines Mannes zu sehen ist. Der lakonische Kommentar zu dieser Serie: „Wäre Wolfgang Barz nicht im Weg gestanden, würde man neun Berliner Sehenswürdigkeiten sehen.“ „In Berlin spielt sich das Leben ab, wie ich es gerne hätte“, gerät Stöger ins Schwärmen. Er genießt es, in Berliner Lokalen zu sitzen, deren Ambiente einzusaugen: „Das sind keine fertigen Orte, sondern es ist irgendwie wie in einem Zwischenraum.“
Die Zwischenräume – vielleicht DAS Thema in Stögers Arbeiten. Zum Beispiel, wenn er sich durch Fotos inspirieren lässt. Hinter den vordergründigen Motiven wolle er „die große Fülle an Leben dazwischen“ entdecken. Und wie? Die Antwort mag eine Anleitung zum Überleben in medialer Bilderflut sein: „Durch Langsamkeit, durch Wiederholung.“
Herbert Christian Stöger, geboren 1968 in Linz, Kunststudium in Linz und Berlin, Ausstellung und literarische Veröffentlichungen seit 1996, zwischen Schweden und Albanien. Nachzulesen in Facetten, Rampe und Schreibkraft bzw. diversen Katalogen und ganz genau: „Inzwischen, Ein Lesebuch der Strategien zwischen Kunst und Literatur“, Triton Verlag Wien, 2002; zuletzt erschien die Publikation „Im Schatten der Heringe“ gemeinsam mit Günther Lainer, Resistenz 2007
„Das Wasser rinnt“, Videoinstallation von 1996
Execute Love. Video mit Herbert Christian Stöger und Elsa Martini, National Gallery Tirana, Albania, 2005, Dauer: 2.30 min.
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