Wichtig ist, wem der symbolische Wert zugute kommt.

Wo Druck ist, wächst auch Gegendruck. Migrantische Selbstorganisationen, wie beispielsweise MAIZ, gehen den aktiven Weg, um über Kunst- und Kulturprojekte den vorhandenen Aus­grenzungs­mechanismen, nicht zuletzt auch im Kunst- und Kulturbereich, entgegenzuwirken. Ein Interview mit Radostina Patulova über ihre Erfahrungen und über nötige Voraussetzungen für eine gelungene Intervention.

In unserem Schwerpunkt gehen wir der Frage der Ausgrenzung nach, die im Kunst- und Kulturbereich passiert. Inwieweit sind MigrantInnen besonders da­von betroffen?
Ich finde es sehr wichtig, sich vor allem die mehrfachen und unterschiedlichen Ausgrenzungen anzusehen, also die Frage nicht in dem Sinn auszule­gen „wer ist mehr, wer ist weniger benachteiligt oder betroffen“, um sich da­mit nicht, wie es oft unwillentlich passiert, in eine Art „Steigerung der Elen­de“, um es nicht „Wettkampf um die Elende“ zu nennen, zu begeben bzw. einer sekundären Viktimisierung Vorschub zu leisten.
Natürlich gibt es gravierende Ausschlüsse im Kunst- und Kulturbereich und zwar auf mehreren Ebenen: Die fangen gewöhnlich dort an, wo man die Mi­grantInnen erst gar nicht sieht, und dieses „nicht sehen“ betrifft nicht allein Behörden und Institutionen, sondern erstreckt sich weitgehend eben auch über autonome Szenen und Zusammenhänge. „Bei uns gibt es keine Mi­grant­Innen“ ist ein Satz, den ich schon öfters gehört habe, dabei sind Migrant­Innen gerade mal vielleicht als Publikum, höchstens als TeilnehmerInnen mitgedacht.
Ein nächster Ausschluss passiert auf der Produktionsebene – denn die we­nig­sten migrantischen Selbstorganisationen oder MigrantInnen verfügen selbst­verständlich über Ressourcen, und da sind durchwegs auch die symbolischen gemeint, um sich als ProduzentInnen regelmäßig hervorzutun, um Ausdrucksformen zu experimentieren, weiter zu entwickeln, sie zu präsentieren und ein Echo zu finden.
Eine dritte Ebene bezieht sich auf die über die vielen Jahre betriebene För­derpolitik: Kleine Beiträge wurden relativ unkompliziert und „niederschwel­lig“ unter dem Übertitel „Multikulti“ locker gemacht, d.h. kleines Geld für trachtige Feste mit kulinarischem Aufgebot. Diese sozusagen von der Mehr­heits­gesellschaft extra produzierte Folklorisierung wurde und wird an eine weitgehende Exotisierung gekoppelt. MigrantInnen bekommen dabei die Rol­le des „Anderen“ aufgestempelt, werden noch zusätzlich als „vormodern“ konstruiert und abgewertet, und auf diesem Weg kann der Skandal um ih­ren Ausschluss aus der Gemeinschaft der mit (Bürger)Rechten-Ausge­stat­te­ten verdrängt werden. In der Zwickmühle solcher für politische Legiti­mati­ons­zwecke hergestellter Widersprüchlichkeiten und mehrfachen Zuschrei­bun­gen – und aus ihr ausbrechend – haben MigrantInnen zu agieren. (Die Auswege kreisen somit gleichzeitig um die Kreativität des Umgangs damit, die kontinuierliche Selbstausbeutung, die Freude am gemeinsamen Tun, die geteilte Wut und die unterschiedlichsten [strategischen] Allianzen.)  

Wie kann man dem entgegenwirken?
Es handelt sich hier um strukturelle Ausschlüsse. Und diese sind bekannter Weise kein Naturgesetz, sondern werden an verschiedensten Orten – ich meine Institutionen, Gesetzgebungen, (Alltags)Situationen, Ausschreibungs­modalitäten, Gremienbesetzungen usw. – produziert, aufrechterhalten, wei­ter­ge­geben, verteidigt.
Es geht hier auch um eine starke Verwobenheit mit anderen Prozessen. Z.B. die Festivalisierung des Kulturbereichs, die wir in den letzten 10 Jahren immens spüren. Sie hinterlässt ihre Spuren überall und jegliche Orga­nisa­tionen aus dem Kulturbereich sind davon betroffen – klar. Nicht desto we­niger macht es einen enormen Unterschied, ob eine Organisation schon Er­fahrungen sammeln, in Ereignissen und Themen hineinwachsen konnte, ob diese gewaltige Verschlechterung erst inmitten einer Professionalisierung ein­gesetzt hat oder womöglich den gewöhnlichen Rahmen, in dem sich Mi­grantInnen erst zu organisieren bzw. als selbstständige ProduzentInnen zu agieren haben, abgibt. Weiters gibt es die Frage nach der Kontinuität – denn aus der hegemonialen Geschichtserzählung entfällt ständig die Tatsache, wie viel schon da war und ist. Doch oft kann sich aus den Aktivitäten keine Kontinuität entwickeln und somit „entschwindet“ Geleistetes wie auch die ge­sammelten Erfahrungen.
Das soll nun nicht so wirken, als würde man gar nichts dagegen machen können. Wo Druck ist, wächst auch Gegendruck. Rezepte gibt es freilich kei­ne, doch es gibt motivierende Beispiele für einen hinterfragten Umgang mit Verstrickungen in den Ausschlüssen: Ob es die Fähigkeit ist, Allianzen mit migrantischen Organisationen einzugehen, die Suche und die Entdeckung von anderem Publikum, eine reflektierte Einladungspolitik Kunst- und Kul­turproduzentInnen gegenüber, der Wille, MigrantInnen in der eigenen Orga­nisation einzubinden und ihnen Entscheidungspositionen zu offerieren, ... Es geht auch darum, das wache Auge auf die Strukturen, die solche Aus­schlüs­se produzieren, zu richten, sie zu hinterfragen und sich an gemeinsamen Umformungen dieser zu beteiligen ...

Inwieweit spielt auch der Faktor Armut eine Rolle? Im Hinblick auf die passi­ve Teilnahme als KonsumentIn, aber auch auf die aktiven Möglichkeiten, Kunst zu produzieren.
Die Armut der Mehrheitsgesellschaft spielt hier eine bedeutende Rolle. Denn wenn in einem der fünfreichsten Länder Europas Kunst und Kultur zu kostspieligen Unterhaltungsevents verkommen müssen, für eine langfristige und strukturerhaltende Kulturarbeit aber minimale Mittel zur Verfü­gung stehen, die Präkarisierung von Arbeits- und Lebenszusammenhängen in einem Ausmaß zunimmt, der nur AkteurInnen aus bestimmten privilegierten Schichten die Möglichkeit gibt, daran zu partizipieren, ist das ein Ar­mutszeugnis. Das Diktat der neoliberalen Denkweise scheint flächendeckender zu werden: Bemühungen um die Eröffnung neuer Räume oder nicht kommerzialisiertes Experimentieren – was in den 70ern z.B. selbstverständlich war – sind heutzutage rar gesäht oder werden oft als unmöglich dargestellt. Dafür wird emsig an Richtlinien und überhaupt an einer Spra­che gebastelt die sich dann in den Anträgen niederlässt, wo jede Akti­vität „produktorientiert“, „messbar“ und besucherintensiv sein muss.

Wie kann Kunst und Kultur in bestehende Verhältnisse eingreifen bzw. be­wirkt eine künstlerische Umsetzung von Kritik tatsächliche Veränderung? Wel­chen Zugang hat MAIZ?
MAIZ hat einen eigenen Weg eingeschlagen, weit weg vom abgetrampelten Pfad eines romantisch-naiven Glaubens an die „verändernde Kraft der Kunst“. Dennoch sehe ich Kunst und Kultur als Mittel, um zu intervenieren, Provo­ka­tionen zu inszenieren und an Störungen, Unbehagen und sich daraus entwickelnden Prozessen zu arbeiten. Natürlich ist die Frage vorrangig, wie die Provokation gestaltet werden soll, damit gesellschaftliche Zuschreibungen nicht weitergegeben werden. MAIZ steht für einen sehr sorgsamen Umgang damit. Kunst soll nicht abgehoben dastehen, sondern Prozesse nach außen bringen oder selber welche anstiften. Daher gibt es die Entscheidung auf bzw. mit fiktionalen Ebe­nen zu arbeiten und diese auf ihre politische Trag­­barkeit zu prüfen.

Du selbst arbeitest seit mehreren Jahren im Kul­turbereich, was sind deine Er­fahrungen?
Zunächst meine positiven Erfahrungen: Ein schöner Moment für mich war die Aussage einer mehr­heitsösterreichischen Aktivistin, nach einem Work­­shop, in dem mehrheits- und migrantische Kul­tur­arbeiterInnen zusammengearbeitet haben. Sie mein­te, ihr sei erst in diesem Austausch während des gemeinsamen Bearbeitens von Themen klar ge­worden, dass sie bis jetzt Mi­grantInnen nur zu „mi­grantischen“ Themen eingeladen hatte und so­mit in eine der Fallen des Essenzialismus hineingetappt war. Denn MigrantInnen sind Teil dieser Gesellschaft und können und wollen über alle ge­sellschaftlichen Fragen im Austausch sein, sich da­zu äußern und Gehör finden.
Ebenfalls positiv für mich war die Frage, die aus der Ecke der freien Radios kam: Wie kommt es da­zu, dass es als selbstverständlich betrachtet wird, 20 verschiedene Musiksendungen ins Programm aufzunehmen, wenn man aber eine kurdische Sen­dung hat, glaubt man, sie sei für die ganze Com­mu­­ni­ty repräsentativ. Wo also, von wem und in wel­chen Zusammenhängen wird drauf los verallge­mei­nert und wo wird selbstverständlich differenziert?

Die Projekte, in denen ich mitgewirkt habe, wa­ren an der Schnittstelle Kulturarbeit und Anti­ras­sismus angesiedelt. Ein anderer gelungener Work­shop war der Me­di­en­work­shop über „Migrant­In­nen in den freien Me­dien“ bzw. über migrantische Medien. Dazu einge­laden waren Vertre­ter­In­nen von auto­nomen Mehr­­heitsmedien sowie mi­grantische Medienma­cher­In­nen, z.B. von Öneri – einer türkischsprachigen Zeitung oder von der On­lineplattform Africanet. Im Zuge der späteren Ver­netzungen sind wir auch auf „Gipsy-Radio“, ein auto­nomes Roma Ra­dio in Österreich gestoßen, das in 80 Län­dern ge­sendet wurde. Und übrigens kurz drauf eingestellt wur­de, denn nach fünf Jah­ren unbezahlter Arbeit war die Situation nicht mehr haltbar. In all diesen Jah­­ren wurde um Sub­ventionen angesucht ...
Wir haben auf mehreren Ebenen gearbeitet: Die ReferentInnen waren mehrheitlich mi­gran­tische ExpertInnen, genauso wie die VeranstalterInnen, es ging einerseits um eine breitere Sichtbarkeit von MigrantInnen im autonomen Me­dien­bereich, andererseits darum, verschiedene Communities zu vernetzen. Aus dem Workshop sind Koope­rati­onen entstanden und eine gegenseitige Auf­merk­samkeit für die Problematiken von den anderen, die dann auch in den eigenen Medien Platz fand. Offensichtlich wurde aber, dass auch in den autonomen Medien MigrantInnen nicht für gesamtgesellschaftliche Themen zuständig sind, sondern in ihrer Rolle als MigrantIn, die aus erster Hand über migrantische Themen berichten können, fest­geschrieben werden.
Ein anderes Beispiel ist die Redaktion der „Kul­tur­risse“, die durch die Aus­einandersetzungen um das von der IG Kultur Österreich durchgeführte Pro­jekt „Fields of transfer“ herum mehrere Mig­rant­Innen als Redaktions­mit­glie­der gewinnen konn­te.

Unter welchen Bedingungen kann ein Projekt ge­lingen, was ist dabei wichtig, unter welchen Um­stän­den wird es misslingen?
Wie schon gesagt, es gibt durchgehend schwerwiegende Ressourcenpro­ble­me, es herrscht oft eine zermürbende Knappheit und dazu kommt die zu­neh­mende Prekarisierung von Arbeits­be­din­­gungen. Davon sind zwar alle be­troffen, aber Mi­grantInnen können zumeist nicht auf familiär generierte Mittel zugreifen, sie haben oft für ihre erworbenen Qualifikationen eine Ab­wertung er­fahren, auch Universitätsabschlüsse werden hier nicht anerkannt. Ständig unter solchen Bedin­gun­gen zu arbeiten und zu leben ist eine enorme Her­ausforderung.
Zur Frage, wann ein Projekt für mich als gelungen gilt, seinen Sinn erfüllt: Ein wichtiges Kri­te­ri­um ist die Frage, wem z.B. der symbolische Wert zugute kommt, sind es alle, die mitwirken oder ist es nur eine Person, die nach außen hin dafür steht und sich noch künstlerisch profiliert. Dies gilt be­son­ders für die Kunst- und Kulturprojekte, die von/mit MigrantInnen gemacht werden.
Es hängt auch davon ab, wie die Arbeits­bedin­gun­gen für alle Beteiligten sind, wer die Ent­schei­dungen trifft, wer währenddessen und hinterher da­von profitiert. Zusätzlich geht es um die Fra­gen: Werden dabei autonome Pro­zesse gestartet, finden Rückkoppelungen statt. Erst wenn dies al­les stimmig ist, könnte man sagen, dass Migrant­Innen nicht als eine Fläche für re­präsentative Wün­sche sondern als ProtagonistInnen erfahren und wahrgenommen werden.

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02/08
FotoautorInnen: 
Videostills Nilbar Güres

Yabanci (der/die Fremde), Videoinstallation 2005, von Nilbar Güres, http://nilbargures.com Die Videoinstallation „Yabanci“ thematisiert die Wahrnehmung des/der Fremden als Objekt. Die Performance – ein Selbstexperiment im öffentlichen Raum – versucht, die eigene Reaktion auf den rassistisch-zuschreibenden Blick im Bild zu übersetzen. Entnommen aus der Dokumentation des zweijährigen Projekts „fields of TRANSFER, MigrantInnen in der Kulturarbeit“ der IGKultur Österreich. „fields of TRANSFER“ wurde als antirassistisches Vernetzungsprojekt konzipiert, das sich an Initiativen von MigrantInnen und Mehrheitsangehörigen im autonomen Kulturbereich richtete.

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