Integration als Sonderfall des Guten

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Die Flucht aus Tschetschenien vor mehr als zwei Jahren brachte Bislan E. und seine vierköpfige Familie über Weißrussland, Polen und Tschechien über Traiskirchen und Neufelden nach Linz. Ende 2007 gab ein Wiener Richter dem Asylantrag der Familie statt und erteilte eine unbefristete Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung.

„Begonnen hat alles mit einem Loch, das ich graben wollte“, beschreibt der Neufeldener Künstler Joachim Eckl seine erste Begegnung mit dem tschetschenischen Familienvater Bislan E.. „Dabei hat er mir geholfen, weil er verzweifelt nach einer Arbeit gesucht hat.“
Als freischaffender Künstler arbeitet Eckl unter dem Label „HEIM.ART®“ in seiner „Station“, einem alten La­ger­haus an der Großen Mühl. Von hier aus konzipiert er Ausstellungen von Kunst und Kulturwerkzeugen, veranstaltet Konzerte oder Seminare und in­szeniert the­a­tralische Landschafts­skulp­tu­ren. Als „social engineering“ um­reißt er selber salopp seine Projekte, wenn Ungeduldige nach dem Wesen seiner Kunst fragen.

„Plötzlich habe ich gemerkt, dass Bislan das Einklinken in meine Tä­tigkeit befriedigt. Also habe ich daran gedacht, eine partnerschaftliche Be­ziehung aufzubauen“, dies auch in künstlerischer Hinsicht. Eckl realisierte mit Bis­lan E. und anderen AsylantInnen die Idee des „Ho­pe­fields“. Basierend auf der hohen Kultur des Hopfenanbaus entstand eine sieben Meter hohe Skulp­tur in der Landschaft. Aus dem gemeinsamen Ur­sprung der Worte Hop­fen und hoppen, nämlich „aus Erwartung nach oben streben“, wuchs eine soziale Vernetzungsskulptur, die durch ihre Errich­tung die Vernetzung der teilnehmenden Menschen bewirkte. Verknüpfung, Verbindung, das sind Schlagworte, die bei Joachim Eckl immer wieder auftauchen. „Aber ich will nicht in die Verantwortung genommen werden als der Schöpfer von Wohl­be­finden auf Erden“, stellt er gleichzeitig klar. „Ich tue das alles ja auch für mein eigenes Ego als Künstler.“ Eckl stellte seine weitere Zusammenarbeit mit Bislan E. auf eine klar ge­schäftliche Ebene. „Man macht einen Deal miteinander.“ Diese Augenhöhe gab Bislan E., der in Grosny erfolgreicher Händ­ler war, viel von der auf der Flucht verlorenen Menschenwürde und seinen Stolz zu­rück.

2006 entstand in mehreren Fotosessions eine Bilderserie, in der Eckl die tsche­tschenische Familie in einer Art inszenierten Wirklichkeit abgebildet hat. Rot-weiß-rote Fahnen schwenkend, mit Koffern und Fahrrädern als Me­ta­pher für Reise und Flucht oder winkend auf dem trockengelegten Aus­flugsboot, das bei den „Land in Sicht“ Produktionen zentraler Spielort war und ist. Ursprünglich waren die Fotos nur für Freunde und Familie in der alten Heimat bestimmt, später wurde gemeinsam die Idee einer öffentlichen Ausstellung geboren.
Weihnachten 2006 wurden dann zwölf Bilder unter dem Titel „Die Tschet­schenen kommen“ in einer Ausstellung in der Wohnung der Familie im Asy­lantenheim in Neufelden präsentiert. Obwohl er im Vorfeld nie mit mehr als fünfzig Besuchern gerechnet hatte, konnte Bislan E. fast alle Bilder verkaufen. Wegen einer Krankheit des jüngsten Sohnes musste die fünfköpfige Fam­ilie später übersiedeln und fand sich nach der Neufeldener Ruhe plötzlich in zwei winzigen Zimmern im Asylantenheim in Linz wieder. Stre­ite­rei­en mit anderen Bewohnern, die Enge und der Dauerlärmpegel brach­­ten Bis­lan E. zur Verzweiflung.
Durch die Hilfsbereitschaft eines Linzer Unternehmers fand Joachim Eckl nach Wochen eine Wohnung in einem leer stehenden Abrisshaus eine weitere künstlerische Idee wurde geboren. Eckl transplantierte und baute ge­meinsam mit Bislan E. und Freunden die ersteigerte Ori­gi­nal­einrichtung eines Hotelzimmers aus dem Hilton in Wien ein und machte den Raum kur­zerhand zu einem Kunstwerk. In Abstimmung mit Bislan E. lud er kunstinteressierte Menschen und Freunde in diesen „Kommunikationsraum“ ein, er­zeugte einen sozialen Fluss durch die Migrantenwohnung und ließ die BesucherInnen sozusagen durch performative Beteiligung Teil eines Bildes werden. „Beim Überschreiten der Schwelle waren die Besucher nun Teil des Bil­des. In dem Moment wollten die Leute na­tür­lich auch eine positive Rolle über­nehmen, weil sie sich auch von außen gesehen haben. So entstanden mit Unterstützung der BesucherInnen eine Küche, die Böden und eine Heizung. Und das ganz ohne Geld.“ Bislan E. richtete sich an seiner Rolle als Gast­ge­ber immer weiter auf und wurde von Eckl für das nächste Projekt, die szeni­sche Ausstellung „Alle im selben Boot“ im Sommer 2007, als Autor mit einer befristeten Beschäftigungsbewilligung angestellt. „Weil mir niemand anderer diese Geschichte schreiben kann. Das wurde mir vom AMS bewilligt und war für Bislan ein wichtiger Punkt“, erzählt Eckl. Im Hiltonzimmer fanden die Vorgespräche und Interviews zu dem Projekt mit über hundert Mit­wir­kenden statt, in dem Bislan E. als Kontaktmann für die teilnehmenden Mi­grantInnen zu einer Symbolfigur der Veranstaltung wur­de. Bei „Alle im selben Boot“ erlebten die ZuschauerInnen anfangs eine verkehrte Welt: Sie wur­den als Fremde von agierenden MigrantInnen durch Bar­rieren und Pass­­kontrollen geschleust. Später tauchten sie dann durch den Blick in ein le­bendiges Auffanglager und durch Videoberichte von Ein­zelschicksalen in die Welt ihrer neuen Nachbarn, bis man sich am internationalen Herd ge­meinsam verköstigte.

Sein gesamtes Engagement sieht Eckl als eine Abfolge von Bildern, die, als Gesamtwerk betrachtet, mehr bedeuten als die einzelnen Teile. Mit diesem Ge­samtwerk etwa konnte Bislan E. auf die Frage des Asylrichters antworten, was er in den letzten zwei Jahren in Österreich getan hatte.
Eckl weiß, dass alle Beteiligten solche Projekte mit der vollen Identität eines Künstlers leben müssen. „Du kannst nicht sagen, ich bin jetzt mal fünf Minuten Künstler und nehme diese Zutat und jene, und dann wird es schon. Dann wird es bestimmt nichts.“ Auf eine allgemeine Ebene gehoben will er eine Methode transparent machen, die dahinter steckt, wenn es um ein aus Einzelpersonen gebautes Gebilde geht, nämlich der Tatsache, dass „ich nicht allein bin auf der Welt“. Dabei hat er auch oft genug gezweifelt, nicht an den Projekten, sondern an sich selber. „Ob ich genügend Energie für die angeschwemmten Schicksale aufbringe, außerdem habe ich ja auch eine Familie und einen Betrieb.“ Daneben stößt seine künstlerische Arbeit mit Migrant­Innen im Mühlviertel sicher nicht überall auf Gegenliebe. „Aber gegen das Schicksal von Bislan und vielen anderen sind diese Sorgen lächerlich.“ Eckl schafft ein bestimmtes Klima, wo alle miteinander wachsen können, will sich jedoch politisch nicht einspannen lassen, um sich seinen künstlerischen und sozial engagierten Freiraum zu erhalten. Eckl sagt abschließend: „In einer Zeit, in der in Österreich das Asylproblem virulent war, habe ich eine Arbeit dazu gemacht, eine positive, die funktioniert hat. Das ist ein Ab­schnitt meines Lebens.“

Interview mit Bislan E.:
Was ist für Sie bisher das Schönste an Österreich?
Ruhig schlafen, ohne Angst. In Grosny lagen wir meist angezogen im Bett. Mit Schuhen. Wegen der russischen Soldaten. Man konnte nie wissen.

Wie lang herrscht schon Krieg in Tschetschenien?
Erst von 1994 bis 1996, seit der Unabhängigkeit 1999 ununterbrochen. Vor dem Krieg ging es uns in Tschetschenien besser als heute in Österreich. Ich habe gutes Geld verdient, bin mit dem Taxi gefahren. Dann kam der Krieg und unsere größte Sorge war das Überleben.
Man kann dort keine Kinder aufziehen. Keine Zukunft.

Was bedeutet Joachim Eckl für Sie?
Er ist ein Freund. Auch Geschäftspartner und Helfer. Alles zusammen. Er hat mir viele gute Kontakte vermittelt. Mit den Menschen zu reden, macht mir Freude. Es kommen sehr viele Leute in meine Wohnung. Ich helfe, wo ich kann.

Wie haben Sie den Richter von Ihrem Antrag auf Asyl überzeugt?
Der Richter hat mich gefragt, was hast du in Österreich in der Zeit gemacht? Ein Dol­met­scher sollte übersetzen, aber ich habe alles verstanden. Auf Deutsch habe ich Photos von den kulturellen Projekten gezeigt. Es hat nicht sehr lange gedauert. War nicht sehr stressig. Die Staatsbürgerschaft kommt später. Zuerst will ich noch mehr deutsch lernen. Und eine Arbeit finden.

Beobachten Sie die aktuelle politische Lage, die geschürte Angst der rechten Parteien gegen muslimische Einwanderung?
Wieso denn Angst? Die Religion selber macht doch keine Politik. Diese Menschen nehmen eine Religion und sagen: Die ist schrecklich. Meiner Meinung nach tun sie das nur, um sich selber im Sessel zu halten. Wichtig ist, dass die Leute verstehen: Der Mensch steht an erster Stelle, egal welche Sprache er spricht.

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02/08
FotoautorInnen: 
Manuel Boecker

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