Fragen, die bleiben
„Freiheit und Prekarität“ widmete sich der Auseinandersetzung mit der zunehmenden Prekarisierung von Arbeit und Leben. Organisiert von FIFTITU%, IG Bildender Kunst, IG Kultur Österreich und dem Verband feministischer Wissenschafterinnen sollte die Veranstaltung im November 2008 in Linz einen Austausch zwischen Künstlerinnen, Wissenschaftlerinnen und Aktivistinnen ermöglichen. Die zweitägige Veranstaltung mit Vernetzungstag und Symposium stellte Querbezüge zwischen unterschiedlichen Wissens- und Praxisfeldern her. Ein Ziel war, an vorangegangene Treffen und Veranstaltungen anzuknüpfen und gemeinsam Strategien gegen Verarmung, Vereinzelung und Spaltung der Gesellschaft zu entwickeln. F und P, die im folgenden Text zu Wort kommen, könnten zum Beispiel Mitveranstalterin/Teilnehmerin, in/außerhalb einer Institution tätig, oder Künstlerin/Aktivistin/Wissenschaftlerin gewesen sein. Sie könnten aber auch queer/lesbisch/hetera, Migrantin/Mehrheitsangehörige/Minorisierte/Majorisierte, oder ein noch komplexeres Konglomerat aus gerne nur binär und singulär gedachten Gegensatzpaaren gewesen sein, oder es noch werden.
Verweigerung
F.: Ein Thema hat mich nachhaltig beschäftigt: Verweigerung. Im Open Space hatten wir am Vernetzungstag diskutiert, was verweigert werden muss. Zum Beispiel, die Quotenfrau zu spielen. Aber geht es dann nicht darum, wer solche Macht zur Verweigerung hat? Ist es nicht auch ein Privileg, etwas nicht tun zu müssen? Haben alle die freie Wahl?
P.: Natürlich nicht. Für dich als Minorisierte kann der Auftritt in einem dominanten Kontext bedeuten, ein Forum zu nutzen, zu dem du sonst keinen Zugang hast. Du kannst dort Forderungen stellen, oder die anderen mit deiner Lebensrealität konfrontieren. Verweigerung ist aber nicht nur eine individuelle Frage. Um zu entscheiden, wann es sinnvoll ist, eine Einladung abzulehnen und den öffentlichen Auftritt in dominanten Kontexten zu verweigern, braucht es auch kollektive Überlegungen.
F.: Genau. Öffentlichkeit ist ja nicht immer positiv und unproblematisch. Auch wenn dein Blick auf die Gesellschaft im Mainstream vorkommt, so kann er dennoch normativ gewendet werden, gegen jede kritische Intention. Zum Beispiel, wenn eine kollektive Forderung nach Änderung gesellschaftlicher Strukturen als persönliches Bedürfnis dargestellt und individualisiert wird. Oder wenn der Gegenstand der Forderung sogar gewährt wird, aber eben nur als „Geschenk“ an Einzelne.
Oder auch wenn umgekehrt jedes Sprechen Einzelner automatisch auf ein ganzes Kollektiv übertragen wird. Öffentlichkeit kann auch negative Auswirkungen auf deinen politischen Kontext, oder manche seiner Protagonistinnen haben. Wann ist es also sinnvoll, in den Mainstream zu gehen und für wen ist es das? Wie gehen wir dann in die Öffentlichkeit? Und mit welchem Wir?
Allianzen
P.: Für mich wird es immer wichtiger, ein Wir zu veruneindeutigen.
F.: Zumindest muss es reflektiert werden. Vielleicht ist das auch eine strategische Frage. Ein Wir zu setzen kann sinnvoll sein, etwa wenn Mechanismen, die dieses Wir einem anderen unterordnen, ignoriert werden. Und wenn die eigene Komplizenschaft, der eigene Profit durch diese Mechanismen, von der Mehrheit nicht gesehen werden will. Dasselbe Wir muss aber sofort verrückt oder aufgegeben werden, sobald es zum übergeordneten und einzigen „Bestimmungsmerkmal“ wird.
P.: Du meinst, wenn wir als Künstlerinnen in ein Forschungsprojekt involviert werden sollen und die Wissenschaftlerinnen das Konzept schon vorher fertig gestellt haben. Wenn sie erwarten, dass wir nur Bilder produzieren.
F.: Zum Beispiel. Unser Beitrag wird auf das „Künstlerische“ beschränkt, und „Künstlerinnen“ produzieren eben „etwas Visuelles“. In dieser Logik wird unsere Arbeit nicht als Forschung verstanden. Sie ist der wissenschaftlichen Arbeit untergeordnet.
Aber ich wollte noch etwas zur Veruneindeutigung sagen. Liegt darin nicht auch eine Gefahr? Anti-identitäre Ansätze der 90er Jahre haben doch gezeigt, wie sich dominante Protagonistinnen in minoritären Kontexten etabliert haben, ohne ihre privilegierte Position hinterfragen, geschweige denn aufgeben zu müssen. Sie konnten das anti-identitäre Wir als Sprungbrett nützen, etwa für die wissenschaftliche Karriere.
P.: Das nennt man dann wohl „Zweckallianz“. Aber Spaß beiseite. Mit Veruneindeutigung eines Wirs meine ich nicht das profitable Verschwinden des Majoritären im und auf Kosten des Minoritären. Ich meine vielleicht so etwas wie eine „prekäre Vielstimmigkeit“. Eine Vielstimmigkeit, die nicht nur bloßes Nebeneinander oder Durcheinander ist, sondern deren Prekarität auch Streit, Verknüpfung, Infragestellung, Richtungsänderung bis hin zur partiellen Trennung erlaubt. Allianzen müssen eine solche Vielstimmigkeit haben. Wobei der Fokus klar sein muss: Strukturelle Veränderung in Richtung der Utopie einer egalitären Gesellschaft ohne Diskriminierung in jeglicher Form.
Einkommen
F.: Beim Symposium wurde folgende Frage an das Publikum gerichtet: „Was würden Sie tun, wenn Sie 1.500,– Euro im Monat zur Verfügung hätten? Wie würden Sie ihr tägliches Leben gestalten? Wie würden Sie Ihr Leben zukünftig gestalten? Was ist für Sie Leben?“ Auf die anfängliche Ratlosigkeit im Raum folgten dann einige Antworten. Scheinbar frei von gesellschaftlichen Bedingungen wurde über individuelle Lebensentwürfe und Wünsche gesprochen.
P.: Bis eine Zuhörerin endlich unterbrach und meinte, dass man diese Fragen nur stellen kann, wenn man für ein leistungsfreies Einkommen ist. Ein solches Einkommen kann nur im Zusammenhang mit Ausbeutung funktionieren, stellte sie fest. Und wer wird dann ausgebeutet? Migrantinnen, sagte sie, und verglich diese Mentalität mit jener der spanischen Conquistadores in Lateinamerika.
F.: Warum kamen erst nur individualistische Wortmeldungen aus dem Publikum? Auch ich begann ja schon zu überlegen, was ich „persönlich“ mit dem Geld anfangen könnte ... All die kollektiven Überlegungen vom Vortag waren plötzlich wie weggewischt, kollektives Wissen und kollektive Praxis war wie blockiert.
P.: Prekarisierung geht oft mit Vereinzelung einher. Bei der Veranstaltung in Linz waren außerdem eine ganze Menge prekär arbeitender Künstlerinnen. Vielleicht wird Individualisierung in diesem Fall auch durch das traditionelle Bild der Einzelkünstlerin, eigentlich: Des Einzelkünstlers verstärkt. Man denkt sich vielleicht noch in Bezug auf Rassismus oder Hetero-Sexismus als Teil eines Kollektivs, das es braucht, um dem gemeinsam entgegenzutreten. Aber in Bezug auf ein mögliches Einkommen, und noch dazu ein regelmäßiges, denkt man sich dann wieder als ganz kontextlose Einzelfigur, die endlich Kohle hat zum Leben.
Begriffe
F.: „Sexuelle Arbeit“ ist mir hängen geblieben. Der Begriff dient dazu zu zeigen, dass an Arbeitsplätzen nicht nur Produkte und Dienstleistungen entstehen, sondern dass dort auch Subjekte erzeugt werden. Es entsteht eine Art doppelte Produktivität.
P.: Das heißt, als Programmiererin werde ich von den Kollegen in der Firma als heterosexuelles Gegenüber adressiert, weil ich ihrer Vorstellung von Frau und potentieller Partnerin entspreche.
F.: Genau. Während ich als Programmiererin von den Kollegen als Kumpel betrachtet werde, weil ich eben nicht in diese Vorstellung passe. Dafür muss ich mir aber sexistische Witze über dich anhören.
P.: Beide werden wir nicht nur ökonomisch, sondern auch sexuell adressiert.
F.: Wir sind permanent damit beschäftigt, die Rollenbilder Programmierer und sexuelles Subjekt möglichst effizient mit dem eigenen Selbstbild zu verhandeln.
P.: Die Frage ist nun, wie wir mit den unterschiedlichen Adressierungen souverän spielen können. Wie können wir sie verdrehen, partiell zurückweisen und neu definieren?
F.: Ziemlich prekäre Angelegenheit.
P.: Und auch noch unbezahlt!
F/P.: Wir arbeiten dran.3
1 Siehe www.frauenkultur.at/linz2008
2 Bei der Lektüre des Protokolls zum Symposium „Freiheit und Prekarität“ stieß ich auf eine Menge interessanter, auch einander widersprechender Fragen. Aus einem tiefen Glauben an das Potential des Widerspruchs, der unbequemen (Selbst-)Konfrontation und des anerkennenden Streits erschien mir die Form der Rezension, des berichtenden, mehr oder weniger subjektiven Artikels zunehmend unpassend. Ein Gespräch, so dachte ich mir, würde unmittelbarer und auch streitbarer dokumentieren, welche Themen diskutiert und welche Positionen dazu eingenommen wurden. Es würde ermöglichen, offene Fragen an Interessierte weiterzugeben und vielleicht neue aufzuwerfen. Die Form des fiktiven Gesprächs habe ich gewählt, um Differenzen und differente Positionen zeigen zu können, ohne dass diese sofort und einzig an (bestimmten) authentischen Sprecherinnen festgemacht werden. Ein Experiment, das mit (identitären) Zuschreibungen arbeitet, diese aber zu verdrehen und in ihren Überschneidungen zu denken sucht, um die vorhandenen Asymmetrien und ihre komplexen Wirkungsweisen auf Subjekte untersuchen zu können.
3 „Working on it“ ist ein Film von Karin Michalski und Sabina Baumann. www.workingonit.de
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