Nie wieder arbeiten!

Eine Existenzsicherung, die für alle Mitglieder der Gesellschaft zum individuellen Rechtsanspruch und ohne Bedürftigkeitsprüfung und ohne Zwang zur Arbeit gezahlt wird, das wäre doch eine feine Sache. Aber wer geht dann überhaupt noch arbeiten? Und ist ein garantiertes Grund­einkommen wirklich die Lösung für alle sozialen Probleme wie Arbeitslosigkeit, Armut etc. Oder lachen zuletzt doch die Reichen?

Am 23. September fand unter diesem Titel im Saal der Stattwerkstatt eine Diskussion statt, in der sich die TeilnehmerInnen unter der Leitung von Franz Fend (Verein Libib) mit den Model­len der Existenzsicherung auseinandersetzten.
Andrea Mayer-Edoloeyi trat für eine solidarische und nicht entfremdete Gesellschaft ein: Ein be­din­gungsloses Grundeinkommen wäre eine Neu­verteilung der Teilhabe am Konsum, aber keine Neu­verteilung gesellschaftlicher Teilhaberechte, es bricht nicht mit der kapitalistischen Logik, dass einige wenige über Produktionsmittel und ge­sellschaftliche Macht verfügen und alle anderen davon nur die Brosamen abbekommen. Des­halb fordert sie das gute Leben für alle. Und das nicht nur für österreichische StaatsbürgerInnen, sondern für alle Menschen. Karl Reitter erläuterte, dass nicht mehr die Erhöhung der Produk­ti­vität, sondern die Verlängerung und Flexibi­li­sie­rung der Arbeitszeit sowie die Senkung der Löh­ne zur neuen, primären Quelle des Profits werden. Die Zurichtung der Menschen auf die bedingungslose Akzeptanz jeder Lohnarbeit, sei sie noch so mies und schlecht bezahlt, ist das aktuelle politische Kalkül. Was das Zuckerbrot der Ide­ologie nicht vermag, soll durch die Peitsche der Maßnahmen gegen Arbeitslose erreicht werden. Da immer mehr Menschen jenseits kollektivvertraglicher Bedingungen arbeiten, laufen klassische gewerkschaftliche Forderungen immer öf­ters ins Leere. Gegen Zwang, Erpressung und Ten­denzen zur Verarmung benötigen wir daher das Grundeinkommen. Erwin Riess klärte eine Be­griffs­verwirrung bei der Frage des Grund­ein­kom­mens auf: Es gibt zwei einander widersprechende Haltungen. Der klassische Ansatz lautet: Bei geregelter Lohnarbeit zu fixen Arbeitszeiten führt ein Grundeinkommen zum Unterlaufen der Löhne im unteren Segment, eine Erhöhung der Arbeits­lo­sig­keit und eine Schwächung der traditionellen Gewerkschaften. Der neuere Ansatz hat als Ziel ein garantiertes Grundeinkommen als eine Reak­tion auf die Zweidrittelgesellschaft. Angestrebt wird dabei ein Leben in Würde – und ohne Angst. Ich erinnere mich an eine früher von Erwin Riess gemachte Aussage, dass dieses Ziel in einem Seg­ment unserer Gesellschaft schon verwirklicht ist – bei Menschen mit dauerhaften Beeinträch­tigun­gen. Ursula Roschger von den Linzer Grünen stell­te den Standpunkt ihrer Partei dar: Grund­si­cherung statt Grundeinkommen. Die Grünen ha­ben sich nach fast Jahrzehnte langer Diskussion zwischen Grundeinkommen und Grundsicherung für das Modell der lebenslagen- und bedarfsorien­tierten Grundsicherung entschieden. Kurz: Grund­sicherung für alle, die sie brauchen. Der Forde­rung nach einem Grundeinkommen erteilte sie demnach mit dem Argument der offenen Fra­ge der Finanzierbarkeit (ein existenzsicherndes Grund­einkommen würde ca. 100 Mrd. Euro kosten!?) eine Abfuhr. Jedoch stellte sie die wichtigen Fragen: Wie hoch wäre ein Grundein­kom­men? Wer würde es finanzieren? Und vor allem: Welche Leistungen würde der Staat dann noch übernehmen? Oder wären Sozialleistungen wie Kran­kenversicherung etc. dann selbst zu finanzieren? Das Grüne Modell der lebenslagen- und bedarfsorientierten Grundsicherung soll nicht al­lein, aber jedenfalls auch, vor Armut schützen. Die Höhe des Sicherungsniveaus hat sich daher zumindest an dem von der Armutsforschung als „Armutsgefährdungsschwelle“ angesehenen Wert von 60% des Medianeinkommens zu orientieren. Diesen Betrag (2005 ca. 834,– Euro) sollen Grund­sicherung und Wohngeld zusammen minimal er­reichen.

Kurz nach den Wahlen überraschte auch Wahl­sie­ger Alfred Gusenbauer mit der Forderung „800,– Euro für jeden“ die politischen GegnerIn­nen und/
oder PartnerInnen. Es klingt ein bißchen nach Grundeinkommen, meint aber wahrscheinlich ein bißchen Grundsicherung. Die ÖVP reagierte wie von Tarantel gestochen und erteilte dieser „ur­kommunistischen Forderung“ eine Absage.

Was bleibt ist also die, hoffentlich auch in Zu­kunft, noch an Spannung zunehmende Auseinan­dersetzung um Grundeinkommen versus Grund­si­che­rung. Im Wesentlichen unterscheiden sich die beiden Modelle im Ansatz.

Ansatz für das Grundeinkommen ist das Men­schenrecht auf Teilhabe am gesellschaftlichen Reich­tum, die man sich durch das Geboren­wer­den erwirkt – es kann nicht verwirkt werden. Wie es finanziert wird, ist auch relativ einfach – von der Gesellschaft. Wir, also die Gesellschaft, leisten uns, weil das auch alle so wollen, dass Menschen, die ein gewisses Alter erreicht haben, solange sie leben eine mehr oder minder armutsverhindernde Pension beziehen. Wir leisten uns auch, dass unsere Kinder nicht schon mit fünf, sechs Jahren in mehr oder minder unmenschliche Arbeitsverhältnisse gezwungen werden, sondern wir ermöglichen allen eine relative lange und durchgehende Bildung und Ausbildung, naja, vielleicht doch nicht mehr allen. Das Grund­ein­kommen würde keine Bedingung an den Ein­zel­nen stellen, sondern an die Gesellschaft, wie wir das auch schon in den oben genannten Bereichen akzeptieren.
Der Ansatz für das Grundsiche­rungs­modell ist das Erwerben von Ansprüchen an die Gesell­schaft durch (Arbeits-)Leistung. Frei nach dem Mot­to: „Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essen!“ Natürlich wäre das zu hart für unsere modernen, empfindlichen Seelen. Deshalb muss ein Tröster her: 800,– Euro für alle – oder Armutsgefährdete sollen 60% des Medianeinkom­mens erhalten. Kurz: Grundsicherung für alle, die sie brauchen. Damit beginnt aber auch schon wie­der die Krux des (Arbeits-)Zwanges: Wer be­stimmt, wer es braucht und wer nicht?! In unserer Gesellschaft herrscht immer noch die Auf­fassung: „Wer zahlt, schafft an!“ Das war bisher so, und daran wird sich auch durch die Ein­füh­rung einer Grund­si­che­rung nichts ändern. Es ist halt nur ein Appell an die Mächtigen, doch die Höhe der Almosen ein bißchen anzupassen, da­mit nicht mehr soviel Ar­mut sichtbar ist. Es bleibt schließlich ihnen überlassen, ob sie uns die­sen Tröster genehmigen wollen oder ob sie einfach mehr Security einstellen, um die Armut aus unserem Blickfeld zu räumen und damit unsere armen, empfindlichen Seelen vor dieser grau­samen und unmenschlichen Tor­tur behüten.

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