Zweitausendsechsmal Malen nach Zahlen

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Mit dem Wagon von zweitausendsechs für einen Nachmittag in der best besuchtesten österreichischen Galerie der Gegenwartskunst.

Um 15.45 Uhr des 14ten Oktober 2006 wurde die Marke erreicht. Der 561ste Besucher hatte den roten Teppich der Rampe be- und überschritten, den Wagon gequert und wieder verlassen.

„Mit einem solchen Empfang hatte Ingrid D. nicht gerechnet – schließlich sollte es ein ganz normaler Ausstellungsbesuch werden. Doch bevor sich die 57jährige Lehrerin den Werken von Kandin­sky bis Warhol widmen konnte, stand das offizi­el­le Programm für Jubiläumsgäste an: Hände schüt­teln, fotografieren lassen und Geschenke ent­­­gegennehmen,“ lese ich über eine 200.000ste Besucherin der Guggenheimausstellung in Bonn und betrachte ein Foto: Drei Herren mit Dame und Blumenstrauß. Ich frage mich: Wann wird der Museumsbesuch zu einem glücklichen – und wann wird man einfach nur überrumpelt, obwohl man an diesem Tag nicht kameratauglich war, nicht salon- wie smalltalkfähig? Wann ist der Be­sucher ein Gewinner? Und wann gewinnen die anderen vom Besuchtwerden?

Das sind die Fragen, die beim Projekt zweitausendsechs von Marek Gut, Robert Hinterleitner und Florian Knopp (i.a.R.) zwar nicht beantwortet, aber immerhin auf ironische Art und Weise gestellt werden können. zweitausendsechs ist ein personeller Zusammenschluss, ein Ausstellungs­raum und eine öffentliche Intervention. Und war am 14ten Oktober ein roter Eisenbahnwagon auf der Urfahraner Hauptstraße, der wie vergessen in die Straße ragte, den Gehsteig als Durch­zugs­schneise unterbrach. Die PassantInnen wurden einen Nachmittag lang umgeleitet über zwei Ram­pen und in das Innere des Wagons. Weil zwei­tau­sendsechs ein Ausstellungsraum ist, der an diesem Tag auf die erdenklich einfachste Weise der meistbesuchteste in Ober- oder gleich in ganz Ös­terreich werden wollte. Also schnell und gefinkelt gedacht: Man stützt sich im wahrsten Sinne des Wortes auf das so genannte Laufpublikum. Man leitet die samstäglichen und ahnungslosen BummlerInnen durch eine mobil einsetzbare Ga­lerie und erreicht so, mit einem Schlag und in we­nigen Stunden, Häuser wie das Lentos besuchertechnisch erblassen zu lassen. Dass es sich dabei mehr um ein ironisches Statement in der vor al­lem um das Lentos und deren Leiterin Stella Rollig geführten oberösterreichischen und politischen Diskussion handelt und um einen Angriff auf diese Diskussionskultur an sich, liegt auf der Hand. Was einmal mehr unterstützt wird, da der Ausstellungs- und Produktionsraum zweitausendsechs, der er gerne nach dieser Aktion sein will (mit Standort Lokalbahnhof), völlig inhaltslos bleibt. Also nur sich selbst und seine leere Hülle präsentiert und nicht durch inhaltliche Pro­gramm­gestaltung punktet – für diese Aktion. Man schrammt an jeglicher inhaltlichen Dis­kus­sion vorbei und bleibt im theoretischen, aber im­mer wieder gern als Druckmittel eingesetzten Un­tersuchungsfeld der Besucherzahlerhebung. Schließ­­lich verlaufen viele Finanzierungsver­hand­­lungen mit öffentlicher wie privater Hand genau nach solchen Richtlinien: Gute Quoten ma­chen volle Töpfe. Und die Zahlen schaukeln sich gegenseitig hoch – Malen nach Zahlen eben. In diesem Sinne bietet die solide Zahl von 780 Be­sucher­Innen in 5 Stunden, die die Aktion am 14ten Ok­to­ber erzielte (im Vergleich dazu erreichte das Lentos mit dem Verkaufsschlager „Face It“ von Gottfried Helnwein im Schnitt 420 Besucher­Innen pro Tag) eine gute Verhandlungsbasis für Finanzierungsgespräche von zweitausendsechs.

Schnell gerät man hier in den Trubel von Zahlen (man versteht dann auch sein eigenes perfides Be­dürfnis nach bunten Fragen-zum-Sonntag-Sta­tis­tiken in Wochenzeitungen – schon wieder Ma­len nach Zahlen …). Da bestechen Meldungen der 58sten Frankfurter Buchmesse, die sich heuer „sta­biler Besucherzahlen“ in der Höhe von 44.000 „Fachbesuchern“ am ersten Öffnungstag er­freuen konnte. Davon weit abgeschlagen, aber immer noch im österreichischen Spitzenfeld liegt das Schloss Schönbrunn mit 2,3 Millionen Be­sucherInnen pro Jahr (das sind um die 6000 täglich). Die Tiere im Schönbrunner Tiergarten können sich immerhin noch mit 1,7 Millionen Be­su­cherInnen im Jahresschnitt um das 2,5fache an Gästen im Vergleich zum Kunsthistorischen Mu­seum erfreuen. Hiervon waren 2004 übrigens nur 10% österreichischer Staatsbürgerschaft. Das erklärt, warum sich – touristisches Potential – Häu­ser der modernen Kunst weit abgeschlagen geben müssen. Das Wiener MAK führt den Rei­gen mit immerhin 195.000 pro Jahr und 950 pro Tag an. Da könnte zweitausendsechs hochgerechnet schon mit 100.000 MehrbesucherInnen im Jahr überholen. Aber das sind eben statistische und eigentlich informationslose Werte. Das zeigen Gut, Hinterleitner und Knopp auf dezente ironische Weise auf, da die BesucherInnen von zweitausendsechs PassantInnen sind, die ganz ohne Besuchsabsicht zu passieren haben. Das ist der Vor- und Nachteil von zweitausendsechs. Denn die vorbei- und hereinströmenden Men­schen werden zwangsbeglückt mit einem gähnend leeren Raum. Ganz abgesehen davon, dass uns ein Zug ganz grundsätzlich interessiert; das bewegt seit Kindertagen. Das ist Konzept der Ak­tion, aber auch große Falle. Denn nicht zu selten lässt man sich in seiner eigenen künstlerischen Produktion hinreißen von der Suche nach neuen Räumen. Immer innovativer, abseits vom Main­stream sollten sie gelegen sein und verfehlen oft in ihrem innovativen Ansatz das eigentlich We­sentliche, nämlich dessen Inhaltsfülle. Aber, das wird sich bei zweitausendsechs erst weisen müssen, ob die Träume von einem mobilen Produk­tionsraum und seinem fahrbaren Aus­stellungs­untersatz ge­füllt werden können.

Im Moment ist der rote Wagon als das zu betrachten, was er ist. Eine inhaltslose Hülle, die allein durch ihr Auftreten provozieren will und auf seine Weise es auch schafft. Vielleicht aber auch auf eine ganz andere Art als gemeint. Denn die Provokation (und in diesem Themenfeld wurde das Projekt auch von der KUPF unterstützt – neben den überwiegenden und zahlreichen privaten Sponsoren) liegt nicht nur in der kulturpolitischen Kritik, die die Verbindung von Be­su­cher­Innenzahl und Subvention beleuchten will, sondern vor allem auch im Umgang mit den nun schon so oft genannten BesucherInnen an sich. Denn es scheint, als sei auf sehr unkomplizierte Art und Weise die ewige Forderung nach Par­tizi­pation in der Kunst umgekehrt worden. Hier schlendert man – gegebenenfalls durch den Aus­stellungsraum – ohne, dass man es beabsichtigt hätte – und das alles zum Wohl der Aktio­nist­In­nen. Unbemerkt und ohne peinlichen Schmerz hilft man die imaginäre Zahl von 561 zu erreichen und das mit einem Glas Sekt im Magen und einer nummerierten Eintrittskarte in der Tasche. Weil man an diesem Samstag von A nach B gehen wollte.

Insofern hat der Samstag drei Gewinner hervor gebracht: Gut, Hinterleitner und Knopp. Für einen Tag konnten sie stolze Besitzer der bundesweit meist besuchtesten Galerie für Gegenwarts­kunst sein. Wir anderen waren die glücklichen BesucherInnen.

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11/06
FotoautorInnen: 
Gunda Wiesner

Gunda Wiesner mit ihrem Vater, 50.000 Besucherin im Freibad Losenstein

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