Das nexte Ding

Mit neugierigen Publikums- und Medieninteresse verlief das diesjährige, zweite NEXTCOMIC-Festival. Nicht alles ist bereits vorbei: Einige Ausstellungen laufen noch bzw. können wieder­gesehen werden. Gaspedal durchtreten, Hand zum Blinken raus und in eine Welt der Zeichen und Formen abtauchen. Rückblick, Vorschau, Geisterbahn.

Oh, das hätte ich mir liebend gerne sparen können beim verkaterten Weg gen Supermarkt: Eine sich dem gerade neuesten Neo-Manga-Modetrend un­terwerfende, ätzend aussehen wollende Teenagerhorde mitten im Passage-Kauf­haus, wo sonst Zuckerbäcker oder OÖN-Vertreter rumlungern. Sich be­reitwillig der glotzende Masse als Halloween-Ersatz zur Verfügung stellende Vogelscheuchen, eine ihren computeranimierten Helden aus Animes und Man­gas nacheifernde, verschworene Gruppe Dahin-Pubertierender. „Sollen die doch vor ihren Computern leichenblass werden. Japan-Affinität, gut und schön.“ Mit ihrer provokanten Gleichgültigkeit versuchen sie natürlich ihre Überlegenheit aufzuzeigen, und lassen mich als alten, verständnislosen Dep­­pen die Stufen Richtung rettenden Supermarkt hinunter stolpern. „Gut, das war jetzt eine Cosplay-Show – voll 80ies“, versuche ich mich zu beruhi­gen, „kenne ich, bloß nicht aufregen“.

Auch das ist NEXTCOMIC-Festival-Zeit, da musste ich wieder mal durch ... Augen zu galt ebenfalls bei den Ü-(berraschungs)-Ei-Nerds, die mit mafiösen Figuren-Deals skrupellos die Stimmung zu vermiesen wussten. Das klingt jetzt wie ein klassisches Linz-Wochende – ohne Sonne und Licht, doch bei diesem Festival gab es vor allem etliche inspirierende Kilometer abzuspulen – bei 12 unterschiedlichsten Örtlichkeiten: Von AEC bis zur KAPU. Durch eine sehr breite Streuung der Veranstaltungen konnten den Meisten wohl eher unbekannte Comic-Zusammenhänge und gegenwärtige Beispiele dieser „Kunstrichtung“ näher gebracht werden. Neben Ausstellungen bzw. Vorträgen gab es Buchbesprechungen, Projektionen, Signierstunden, Instal­la­tionen, ein Kinderprogramm, ein Comic-Battle, Workshops, Anima­tions­fil­me, Performances, eine Börse, Büchertische, etc.
Es wurde gezeigt, wie Comic in Beziehung zur bildenden Kunst, Architektur, Film oder Character Design steht. Das Phänomen der gegenwärtig internati­o­nal schier omnipräsenten Comic-Rezeption wurde sogar in 4020 sichtbar ge­macht, dieses Medium von seinen mannigfachen Seiten präsentiert und vie­les aufgezeigt, was ein weit reichendes Festival beinhalten sollte. Das Nächs­te, das in der bebilderten Literatur passieren wird, durfte entdeckt werden.

NEXTCOMIC hat zwar gegenüber des ersten, als 09-Projekt initialgezündeten Projekts, an Quantität etwas ablegen müssen, doch keineswegs an Qua­lität. „Nächstes Jahr soll dieses Festival noch besser etabliert werden und auch mehr Graphic Novels gezeigt werden, oder das Kabinett Wien (Mahler, Wolf) eingeladen und das Fördern der heimischen Comicszene weiter betrieben werden“, so Gottfried Gusenbauer, Festivalleiter und Herausgeber der Linzer Comiczeitschrift lin_c. „Land/Stadt/Bund sollten prinzipiell den wahren Wert dieser Veranstaltung sehen, die in Österreich einzigartig ist. Au­ßer­dem ist sie auch populär. Schade, dass es heuer keinen internationalen Wett­bewerb wie 2009 gab, darauf sollten doch nächstes Jahr Unterstützer an­sprin­gen.“ Das von Land und Stadt finanziell unterstütze Low-Budget-Festi­val, inklusive einiger Partner, hat sich weiterentwickelt und versuchte „den Charme, den Linz versprüht zu zeigen“. Gusenbauer: „Vieles hat ineinander zusammengearbeitet, die Locations/Initiativen haben das Angebot, bei diesem Festival mitzumachen dankend angenommen. Dadurch kam auch diese interessante Vielfalt zustande.“ Ihm ist es wichtig, dass „man das Profil der Stadt kennen lernen soll, und so einen anderen Blick darauf bekommt, wie man eine Stadt auch sehen kann.“ Festivalleiter Gusenbauer spricht von der „Macht der kleinen Stadt“ und dass „Comic auch eine Chance bekommen muss“.

Die kleine österreichische Comic-Szene war praktisch vollzählig vertreten: Ne­ben dem international, und immer mehr auch im deutschsprachigen Raum für seinen „hinterfotzigen“, trockenen Humor geschätzten Zeichen­mi­ni­malisten Nicolas Mahler, waren auch der Augustin/ÖAMTC/etc.-Zeichner und subtil dahin scherzende Kriebaum, der „Kaffeehaus-Voyeur“ Wolf vom Wiener Luftschach Verlag, die Grazer Avantgardisten von Tonto Comics, das sehenswerte und wichtige Webportal Comics gegen Rechts um Havas, das Linzer Unkraut Comics-Team, welches das 13-jährige Treiben – mit Schöp­fungs­pausen – als Werkschau präsentierte, der Radikal-Performance-Satiri­ker und „Falter“-Karikaturist Püribauer, uvm. zugegen. Hervorzuheben ist vor allem die in Berlin lebende, gebürtige Österreicherin Uli Lust: Sie prä­sen­­tierte ihre 463 Seiten schwere Comic-Autobiografie „Heute ist der letzte Tag vom Rest deines Lebens“. (Erschienen im angesehenen avant-verlag, der vor kurzem übrigens mein absolutes, derzeitiges Lieblingsbuch veröffentlichte: Den gleichnamigen, extrem bissigen Take vom Klassiker „Pinocchio“, in zeitgenössischer Art von Winshluss, Mit-Regisseur von „Persepolis“ und französisches Enfant Terrible). Uli Lusts Buch-Vortrag im AEC, der abenteuerliche Bericht der Reise von zwei Punk-Girls nach Sizilien in den 80ern, wusste das Publikum vehement zu begeistern. Ein „komödiantisches Drama über den Preis der Freiheit, Geschlechterkonflikte und Vertrauensverluste“, wie der Buchdeckel wissen lässt. Großes und wichtiges Kino!

Dringende Empfehlungen für folgende laufende Ausstellungen:
Galerie MAERZ: Tonto Comics
(bis 05.03.): Tonto #12, das neue Comic-Magazin des Grazer Avant­garde-Verlags, mit internationalen Beispielen zum Thema „Nordpol“. Außerdem eine sehr erfrischende 3D-Projektion des befreundeten finnischen Glömp-Kollektivs. Eiskalte Stories inklusive!
KAPU: Kus-Comics, Comics gegen Rechts, Unkraut Comics, The Last Match (bis 05.03.):
Das lettische Minicomic-Magazin Kus zeigt einige seiner bunten und wunderhübschen Veröffentlichungen, extra vor Ort ge­fertigte Stücke und Collagen von Anete Melece, und vor allem die grandiose und meines Erachtens interessanteste Ausstellung dieses Festivals: „The Last Match“. Zeichnen auf kleinstem Raum (0,00166 m2 = Zündholzschachtel): Thema „Das letzte Zündholz“. Eine Ausstellung von 150 Co­mic-Künst­lerInnen aus 40 Ländern: Shaun Tan, Zograf, Mahler, Ben Kat­chor, viele japanische Künstler­Innen (!), Jeffrey Brown, David Collier, Uli Lust, Mark Newgarden, Rutu Modan, Baladi, etc. – Orginale von äußerst einflussreichen und bekannten Comic-ZeichnerInnen zu einem minimalen Thema: Kunst ist auch in Zeiten der Krise möglich (Achtung: Ironie!)! Ästhetisch an­spre­chende Underground-Kunst in Reinform! Außerdem zeigt Unkraut Comics eine Werkschau – inkl. Beispiele der in Bälde erscheinenden fünften Ausgabe (Mini­comics zum Thema Essen).
afo – architekturforum oberösterreich: Comic & Architektur (bis 30.04.): Sehr umfangreiche Aus­stel­lung, die architektonische Beispiele in der internationalen Comickunst zeigt. Anhand von Chris Wares „Building Stories“, dem Architekten-Zeichner Gnehm, Metrobasel, des Duckschen Geldspei­chers, etlichen Modellen und Fundstücken zu Architektur & Comic, uvm. Von witzig bis schaurig schön, viele Überraschung bergend – unbedingt Zeit einplanen: Es gibt auch eine große Leseecke! Außerdem werden Beispiele und Modelle gezeigt, die ArchitektInnen und ComiczeichnerInnen in ge­mein­samen Derivées erarbeiteten und darin Linz als Utopie 2050 darstellten.
Galerie der Stadt Traun: Rudi Klein-Cartoons (bis 05.04)
Medien Kultur Haus Wels: Ausstellung Bernd Pfarr (bis 09.04.): verstorbener, begnadeter Karika­tu­rist u.a.: Titanic. Am 04.03. gibt es eine NEXTCOMIC-Party ab 21.00 h.
Salzamt: Bernd Püribauer (bis 05.04.)

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03/10
FotoautorInnen: 
Lamelos, Alexander Wilhelm, The Last Match, Uli Lust

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