Eine Akademie durchquert die Stadt

Am 17.03. 2010 werden Andrea Knobloch und Ute Vorkoeper, die Initiatorinnen der „Akademie einer anderen Stadt“, ihre Denkhintergründe, bisherigen Aktivitäten und die aktuellen Planungen im KunstRaum Goethestrasse xtd vorstellen und für eine ausgiebige Diskussion zur Verfügung stehen. Gegen Selbstaufgabe, Lethargie und alltägliche Achtlosigkeit gerichtet, stellen die beiden in spotsZ ihre Akademie bereits jetzt vor.

Die junge Hamburger „Akademie einer anderen Stadt“ ist ein Zwischen­ding. Sie verortet sich zwischen allem, was es in Kunst, Soziokultur, Inter­kultur und Popkultur an Projekten und Institutionen gibt. Zur Hälfte ist sie ein freies und offenes Kunstprojekt und zur anderen Hälfte eine etwas an­dere Institution ohne festen Ort und ohne Lehrplan. Sie verhält sich freier als die meisten soziokulturellen Institutionen, die stadtteilbezogen arbeiten. Zugleich fühlt sie sich konkreten Stadträumen und den in ihr lebenden Men­schen auf leidenschaftliche Weise verpflichtet. Sie schwebt ein wenig über den Dingen, sucht aber immer wieder die Bodenhaftung und verknüpft und vernetzt internationale Kunst mit transkultureller Stadtge­sell­schaft in vielen und vielfältigen Projekten.

Die Projekte und Veranstaltungen, die von ihr initiiert, begleitet und realisiert werden, entwerfen Visionen einer „anderen“, zukünftigen Stadt, in dem sie die Stadt der Gegenwart, die offensichtlichen ebenso wie die unbeachte­ten und unscheinbaren Kulturen beobachten und bearbeiten. Sie berichten von der Vielfalt der StadtbewohnerInnen und von den Sprachen, die sie spre­chen. Sie wenden sich gegen Segregationen und Verdrängungen und versuchen, Menschen quer durch die Stadt über ästhetische Erfahrungen zu­sam­men zu bringen. Schließlich stellen sie Öffentlichkeiten her für all das, was die Menschen in den verschiedenen Stadtteilen und Nach­bar­schaften be­wegt.

Dass die „Akademie einer anderen Stadt“ im April 2009 mit der Arbeit be­ginnen konnte, verdankt sich einem kontrovers diskutierten Stadtent­wick­lungs­projekt: Der internationalen Bauausstellung IBA Hamburg. Um Kunst in den laufenden Umstrukturierungsprozess der Hamburger Elbinseln einzubinden, finanziert die IBA eine „unabhängige“ Plattform, den so genannten Elbinsel Sommer, den die Akademie einer anderen Stadt nun schon im zweiten Jahr gestaltet.
 
Die IBA Hamburg steht vor der Aufgabe, lang vernachlässigte Stadtgebiete an der Grenze zum Hamburger Hafen zu entwickeln, dort Gewerbe anzusiedeln, neuen Wohnraum zu schaffen und Projekte auf den Weg zu bringen, die Schulen und Ausbildungsstätten unterstützen, um langfristig die schwie­rige Bildungssituation zu verbessern. Das Planungsgebiet der IBA Hamburg erfasst vor allem die Stadtteile Veddel und Wilhelmsburg, die als Fluss­in­seln der Elbe der touristisch erschlossenen Innenstadt auf Sichtweite gegenüber liegen. Immer schon haben Hafen- und Industriearbeiter aus aller Welt mit ihren Familien hier gelebt. Der billige, innenstadtnahe Wohnraum in einer trotz aller Beeinträchtigungen durch Verkehr und Industrie landschaftlich ansprechenden Umgebung ist nicht nur für Zuwanderer anziehend, die heu­te vor allem aus der Türkei, aus Afrika und den Balkanstaaten nach Ham­burg kommen. Auf der Veddel stellen sie mittlerweile nahezu 70 % der Be­wohnerschaft.

Mit einem „Sprung über die Elbe“ will die IBA Hamburg die Elbinseln bis 2013 an die Hamburger Innenstadt anschließen und in attraktive und dynamische Stadtteile verwandeln. Allerdings lässt sich die jahrelange Teilung der Stadt nicht so ohne weiteres überwinden: Die Vernachlässigung der Elb­inseln hat tiefe Spuren hinterlassen. Sie stehen in exemplarischer Weise für die drängenden Aufgaben der Stadt der Gegenwart von der Verkehrs­pla­nung über Ökologie bis zur Bildungspolitik. Zugleich aber – und daran knüpft die Akademie an – stehen sie auch für die Potentiale und Chancen der transkulturellen und kosmopolitischen Stadt der Gegenwart.

Nachdem die „Akademie einer anderen Stadt“ 2009 unter dem Motto „Zei­chen von Respekt“ internationale Kunst und Kunstprojekte aus verschiedenen Stadtteilen in einem leer stehenden Verwaltungsgebäude im Wil­helms­bur­ger Reiherstiegviertel gezeigt, mit einem wandernden Büro durch die Stadt­teile gereist und auf 86 nicht alltägliche Fragen Antworten gesucht, ein Filmprogramm „Über Glaubenskulturen“ in den Kirchen veranstaltet und zu Akademieausflügen auf die andere Elbseite eingeladen hat, wird der Ak­ti­onsraum in diesem Jahr noch deutlicher in die ganze Stadt hinein er­wei­tert. Unter dem Titel „Aussicht auf Veränderungen“ sollen entlang der S-Bahn Linie 3, die Wilhelmsburg und die Veddel mit der Innenstadt verbindet, an vier S-Bahnstationen sowohl in den Bahnhöfen selbst als auch im umgeben­den Stadtraum und zu Gast in Partner­insti­tu­tio­nen Kunstprojekte stattfinden. Performances, Ak­ti­onen, Filmprojektionen und Erkundungstouren wer­den vor Ort zur Erfahrung bringen, dass der Stadtraum durch das Handeln seiner Bewoh­ner­Innen und NutzerInnen immer wieder neu entsteht und sich verwandelt. Die wichtigste Aufga­be der Akademie besteht am Ende da­rin, Selbst­auf­gabe, Lethargie und alltägliche Achtlosigkeit zu durchbrechen und viele verschiedene Mög­lich­­keiten der Gestaltung des gemeinsamen Raums lustvoll erlebbar zu machen.

6
Zurück zur Ausgabe: 
03/10

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014