Der Berg und die Mühen der Ebene
Das Ende kam mehr als abrupt. Zweieinhalb Monate vor dem Start musste Linz09 eines seiner Leitprojekte absagen. Aus dem „Heiligen Berg“ wurde nichts, die Begründung: Ein Sponsorenvertrag für den Sektor Kunst im öffentlichen Raum sei kurzfristig nicht zustande gekommen. Man habe sich entschlossen, eine Eigenproduktion zu streichen, da man hier keinem Partner im Wort sei. Der Partner, das wäre wohl das O.K gewesen. Gerüchtehalber ist zu vernehmen, dass tatsächlich ein Sponsor für den „Höhenrausch“ absprang. Linz09 will das so nicht bestätigen. O.K-Chef Martin Sturm sagt, dass gemeinsam mit Linz09 eine Finanzierung für den „Höhenrausch“ auf die Beine gestellt werden konnte. Der Deutungsspielraum bleibt.
Eine der beiden Projektverantwortlichen, die Kuratorin und Kunstkritikerin Maren Richter, berichtet aus den letzten Tagen des Projekts: „Wir haben signalisiert bekommen, dass das Budget nicht reichen wird und innerhalb eines Wochenendes noch eine Reduktion des Volumens zustande gebracht. Das wurde auch gewürdigt“. Man schaffte es, trotz des reduzierten Handlungsspielraums aufgrund der bereits erfolgten Ausschreibung, noch ganze 25 % einzusparen. Doch das reichte nicht. Die Intendanz erwog in der Folge, nur ein einziges Projekt aus den insgesamt 20 des „Heiligen Bergs“ zu realisieren, das spektakulärste davon sollte es sein. Gegen diese Reste-Verwertung von zwei Jahren Arbeit sprachen sich jedoch die KuratorInnen aus, und so sagte man letztlich ab. Von Richter ist zu vernehmen, dass im Vorfeld 09-intern unterschiedliche Zahlen kursierten. Die Geschäftsführung verbuchte für den „Heiligen Berg“ deutlich weniger als die Intendanz, wie man en passant mitbekam. Eine wohl nicht ganz unwesentlicher Kommunikationsfehler.
Eigenwillig fiel nach der Absage auch die öffentliche Erklärung der Umstände aus. In einem OÖN-Artikel vom 2. April1 wird Martin Heller wie folgt zitiert: „Früher war die Unterschrift (unter den Sponsorenvertrag, Anm.) nicht möglich, weil es vor dem Konzept keinen Vertrag geben kann.“ Für Richter ist diese Argumentation „eine Frechheit“. Das Konzept sei schon lange zuvor fertig gewesen, eine zweihundert Seiten umfassende Ausschreibung lag vor, das Projekt war fix und fertig zur Realisierung. Martin Heller gibt im Gespräch mit spotsZ zu Protokoll, dass ein fehlendes Konzept nie das Thema der Absage gewesen sei.
Was für ihn bleibe, sei der Schmerz, das Projekt nicht realisiert zu haben. Die KuratorInnen ihrerseits waren in der Folge bemüht, noch Budgetgelder aus einem Linz09-Topf zu lukrieren, bzw. der Stadt das Projekt schmackhaft zu machen. Beides blieb erfolglos. Linz09 wäre es gar nicht möglich gewesen, hier nachzufinanzieren, meint Heller. Schließlich habe man eine Reserve bilden müssen, um etwaige Risiken abzudecken. Was mit dieser Reserve von 800.000,– Euro nunmehr geschieht, könnten nur die Fördergeber selbst beschließen. Linz09 habe diesbezüglich lediglich Vorschläge an den Aufsichtsrat übermittelt.
Was in Linz jedenfalls total fehle, seien private Mittler im Bereich der zeitgenössischen Kunst, die auch bereit seien, ein gewisses Produktionsrisiko zu tragen, und die ein Projekt wie den „Heiligen Berg“ stemmen könnten. Dagegen existierten in der Stadt erstaunliche Monopole. Etwas wie die LIVA, eine dominante städtische Veranstaltungs-GmbH, sei ihm sonst noch nirgends begegnet.
Wenn man diese Monopol-Einschätzung an Branchenkenner, darunter die LeiterInnen der großen Linzer Kunstinstitutionen, weitergibt, so bekommt man ziemlich einhellige Reaktionen. Der Analyse Hellers stimmen alle zu. Martin Sturm spricht von einem generell hohen Grad an Institutionalisierung, auch im „freien“ Kulturbereich. Lentos-Direktorin Stella Rollig meint, dass man sich daran gewöhnt habe, dass Ereignisse vom städtischen Kulturamt oder von der LIVA mit künstlerischem Qualitätsbewusstsein gestaltet und routiniert organisiert werden. Private Initiativen wie etwa das Wiener Festival „Soho in Ottakring“2 fehlten aber in Linz. Von der Schweiz kenne Heller das anders, so Peter Assmann, Direktor der OÖ Landesmuseen. Dort gebe es eine Reihe von Städten, in denen bildungsbürgerliche Initiative anzutreffen sei. In Österreich, sei das ein noch „zu entwickelndes Potential“, das konsequenter Arbeit bedürfe.
Auch Martin Fritz, selbständiger Kurator und Projektberater, meint, dass dies nicht nur für Linz, sondern für ganz Österreich gelte. In der Schweiz finde man im Unterschied zu hier echte gemeinnützige Unternehmens- und Privatstiftungen, liberale vermögende Einzelpersonen und einen stärkeren Kunstmarkt. Gesamtprojekte wie der „Heilige Berg“ seien jedoch im „mitteleuropäischen Normalfall“ stets zum Großteil öffentlich finanziert, meint Fritz. In Österreich gäbe es nur im Falle von Einzelprojekten zusätzliche Möglichkeiten, wenn diese bestimmten Verwertungs-, Repräsentations- oder Kommunikationsinteressen entsprechen würden oder wenn Poollösungen die Sponsorbeträge in diese Richtungen kanalisieren können. Maren Richter sieht das privatwirtschaftliche Engagement jedenfalls skeptisch, wenn es die öffentliche Hand aus der Verantwortung entlässt. Zudem sei das ein langer Prozess, in dem auch die Bereitschaft zu Experimentellem und zu Risikoinvestitionen eine Rolle spielt. Es müssten daher zuerst Qualitäts- und Vermittlungsdebatten geführt werden, bevor man darüber spricht, dass viel Potential auf der Straße liegt.
Stella Rollig vermisst abseits einzelner Projekte und Festivals ein kompetentes Organ, das über dauerhafte Kunstwerke im Stadtraum entscheidet. Wer über Skulpturen, Objekte und Installationen bestimme, sei ein Schattenthema. Seit dem Forum Metall sei hier nichts Nennenswertes entstanden. Das wundert Peter Assmann im Rückblick auf die Ereignisse der frühen Achtziger nicht. Die Auseinandersetzung um das Forum Design sei ein so nachhaltiger Schock gewesen, dass danach kein politischer Wille mehr vorhanden gewesen wäre, aktiv etwas in diese Richtung zu unternehmen. In Sachen kulturelles Alleinstellungsmerkmal hätte man die Nische später mit der Klangwolke und der Ars Electronica besetzen können. Bedarf an weiteren Formaten habe es seitens der Stadt dann nicht mehr gegeben.
Mit „Schau-“, „Tiefen-“ und „Höhenrausch“ hat sich zuletzt das O.K in den öffentlichen Raum begeben. Leiter Martin Sturm resümiert: „Es hat sich gezeigt, dass das Nischenprodukt ‚zeitgenössische Kunst‘ auch breiter vermittelbar ist. Ich glaube vor allem auch, dass KünstlerInnen eine größere Rolle bei der Gestaltung des öffentlichen Raumes spielen müssen. Außerdem muss die Sichtbarkeit von Kunst erhöht werden, sie darf sich nicht nur hinter verschlossenen Mauern ausbreiten. Das alles spricht dafür, dass wir auch weiterhin im öffentlichen Raum präsent sein werden.“ Wie kommentieren die Kollegen die „Räusche“? Peter Assmann meint, es sei gelungen sehr publikumswirksame Signale der zeitgenössischen Kunst im öffentlichen Raum zu setzen. Unterm Strich bleibe ein quantitativer Erfolg. Martin Fritz sagt, das O.K habe damit seine institutionellen Grenzen beispielhaft ausgedehnt. Man sei mit dieser Ausdehnung professionell und verantwortungsbewusst umgegangen, da den MacherInnen bewusst sei, dass auch anderes Platz haben muss. Problematisch könnte es nur werden, wenn die Politik nur mehr an „Räuschen“ interessiert wäre.
Es sei sinnvoll, wenn Institutionen ihr Profil durch bestimmte Ausstellungsformate stärken, so die Analyse von Stella Rollig. Als Bespielung des öffentlichen Raums lässt sie jedoch nur den „Kaufrausch“ gelten, da die anderen Orte, der Limonistollen und das Dach des Ursulinenhofs, ja nur im Rahmen der Ausstellungen zugänglich waren.
Das Dach des O.K soll es jedenfalls in Kürze wieder sein. Im Jahr Null nach der Kulturhauptstadt suchen Lentos, Landesgalerie und O.K Anschluss an die erhöhte Aufmerksamkeit für zeitgenössische Kunst. Bei der ersten gemeinsam veranstalteten „Triennale“ werden im heurigen Juni etwa 80 KünstlerInnen vertreten sein, eine Leistungsschau der österreichischen Gegenwartskunst soll es werden. Damit agiere man präzise in der aufmerksamkeitspolitischen Lücke, so Martin Fritz. Eine Bündelung der Stärken ermögliche, vergleichbar mit dem Steirischen Herbst oder den internationalen Biennalen, gezielter und stärker KünstlerInnen, KollegInnen, Medien und Diskurse für das hohe Niveau der Institutionen in Linz zu interessieren und dem Publikum einen dichten qualitätsvollen Einblick zu verschaffen. Vorschusslorbeeren gibt es also schon. Wie die Triennale in Linz aufgenommen werden wird, könne man aber erst nach etwa drei Ausgaben sehen, meint Maren Richter. Aber auch sie sieht schon vorweg Positives: Es sei eine Chance, ein völlig neues Publikum zu gewinnen.
Der öffentliche Raum wird jedenfalls auch bei der Triennale eine Rolle spielen, wenn auch wieder nur im Rahmen eines Festivals, wenn auch vor allem im Nahbereich der Häuser: Bespielt werden u.a. der Lentos-Freiraum und das Dach des O.K.
1 Nachzulesen unter: www.nachrichten.at/nachrichten/kultur/linz09/art470,139205
2 www.sohoinottakring.at
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