Ein Adler im Sinkflug
Als Linz09 am 28. Juni 2008 via APA-Meldung das Projekt „Montezuma – Fallender Adler“ offiziell absagte, war der Greifvogel längst am Boden angekommen. Die Forderungen der Beteiligten seien in budgetärer Hinsicht nicht zu erfüllen gewesen, so die Begründung, die ihrerseits weitere Turbulenzen nach sich zog. Das Klangforum Wien wehrte sich gegen den Vorwurf, überhöhte Forderungen gestellt zu haben, und sah sich in Misskredit gebracht. Gegen die LIVA, die als Veranstalter der Oper im Brucknerhaus mit Linz09 koproduzierte, strengte man einen Prozess an, vor Gericht einigte man sich schließlich auf einen Vergleich.
Die Ereignisse davor zu entschlüsseln, kommt dem Zusammensetzen einer zerbrochenen Porzellanvase gleich, bei der zudem einige Teilen fehlen. Also beginnt man zunächst mit den zuordenbaren Splittern, den ersten Bruchlinien, die sich schon zu Beginn des Projekts auftaten. Im November 2006 erteilte Linz09 Bernhard Lang den Kompositionsauftrag zur Oper. Im Vertrag wurde die Option des Klangforums als ausführendes Orchester avisiert und tatsächlich lud Peter Androsch als Musikbeauftragter von Linz09 den Wiener Klangkörper im Jänner 2007 ein, an der Produktion mitzuwirken. Eine „Präjudizierung“, wie LIVA-Direktor Wolfgang Winkler meint, denn er habe im Rahmen der folgenden Zusammenarbeit mit Linz09 solcherart vorbesprochene Dinge serviert bekommen.
Im Februar 2007 teilte Peter Androsch dem Komponisten mit, dass die Produktion nunmehr an die LIVA übergeben worden sei und verwies auch das Klangforum an Vorstandsdirektor Winkler. Dieser bekräftigt im Telefongespräch, dass ihm damals von Linz09 nicht die Produktion „übertragen“ worden sei, sondern diese im Paket mit anderen Vorhaben (darunter etwa die Oper „Fouché“) Teil einer grundsätzlichen Koproduktionsvereinbarung gewesen wäre. Wortklauberei oder Missverständnis? Linz09 spricht bis heute von der LIVA als klarem Produzenten. Vor Gericht gaben später Linz09 als auch die LIVA zu Protokoll, dass es nie einen Vertrag zwischen ihnen gegeben habe.
Nach ersten Gesprächen zwischen Peter Androsch und Wolfgang Winkler wurde im Frühjahr 2007 jedenfalls eine Erhöhung des Budgets für die Opern vereinbart, das laut Winkler viel zu gering angesetzt wäre. So weit, so nachvollziehbar. Doch dann beginnen sich die Nebelschwaden ins Geschehen zu schieben. Das Klangforum fühlte sich offensichtlich nicht sicher, was den Fortgang der Produktion betraf und urgierte mehrmals die Bestätigung des übermittelten Projektbudgets. Ein halbes Jahr verging. Im Herbst 2007 schlug Sven Hartberger, Chef des Klangforums, dann mehrere Koproduktionspartner vor. Wolfgang Winkler bestätigt das, hält aber fest, dass er selbst mögliche Partner kontaktiert habe, was jedoch mit dem Hinweis, das es für eine Zusammenarbeit zu spät sei, wiederholt Absagen zeitigte. Da hätte Linz09 gleich zum Zeitpunkt des Produktionsauftrags aktiv werden müssen, so Winkler. Zudem sei die Produktion auch für das Brucknerhaus geschnitzt und nicht so einfach in andere Häuser übertragbar gewesen. Fakt bleibt in jedem Fall, dass für eine solch große Produktion, die ein ganzes Konzerthaus mit einer Stationenoper bespielt, generell nicht von vielen Institutionen produziert werden kann.
Doch wie und was genau wurde „produziert“ bis plötzlich alles viel zu teuer wurde? Wolfgang Winkler gibt keine Auskunft über etwaige Probleme im Ablauf, außer dass der Regisseur Michael Sturminger nur einmal in Linz anwesend gewesen sei, und die restliche Zeit in Zürich beschäftigt. Im Protokoll von Hartberger liest sich das etwas anders: Sturminger habe im Herbst 2007 erstmals eine Anfrage des Brucknerhauses bezüglich des Probenplanes erhalten, und daraufhin übermittelt, welche Fragen geklärt sein müssten, um einen solchen liefern zu können. Im März 2008 habe Winkler dann erneut Sturminger um einen Probenplan ersucht. Nach reibungsloser Kommunikation sieht das in jedem Fall nicht aus.
Inzwischen wurde zwischen Klangforum und Brucknerhaus über Geld gesprochen, nachdem Hartberger darauf hingewiesen hatte, dass man bezüglich anderer zeitnaher Produktionen Orientierung brauche. Winkler dazu im Gespräch mit spotsZ: „Ich habe immer gesagt, ich kann einen schriftlichen Vertrag erst dann ausstellen, wenn ich ein Budget erstellt habe und dieses auch im genehmigten Rahmen ist. Ich kann die Künstler zunächst nur fragen, was sie gerne hätten, dann kann ich hingehen zu 09 und fragen, ob sie so viel haben oder nicht. Dann muss man weiter verhandeln.“ Und weiter: „Letztendlich hat sich die Kalkulation als zu hoch erwiesen und ich habe Bernhard Lang und Herrn Hartberger gesagt, ich kann das nur an Linz09 weitergeben. Wenn sie es zahlen, ist es recht, wenn sie’s nicht zahlen ...“.
Eine Mentalität, die Linz09-Intendant Martin Heller in der Nachbetrachtung problematisiert. Da habe es schließlich seitens Linz09 an Vertrauen in die LIVA gemangelt. Als die LIVA ein Jahr vor der geplanten Uraufführung plötzlich mit überbordenden Kosten bei Linz09 vorstellig geworden sei, sei man gezwungen gewesen, das Projekt abzusagen. Er habe in dieser Sitzung nicht gespürt, so Heller, dass die LIVA diese Produktion unbedingt wolle und gemeinsam mit Linz09 noch einen Weg zur Realisierung suchen würde. Peter Androsch sah sich schließlich in Absprache mit Heller veranlasst, das Projekt abzusagen, ein Jahr zuvor auch noch rechtzeitig und in dieser Frist vertretbar, wie Androsch festhält.
Darüber hinaus versucht der 09-Musikchef im Telefoninterview vor allem mit Zahlen zu punkten. Die Absagen bei Linz09 seien im Vergleich mit den realisierten Projekten eine monetär zu vernachlässigende Größe, und immerhin habe Bernhard Lang das Geld für die Komposition erhalten, die zudem eine äußerst gut bezahlte gewesen sei. Auch Martin Heller steht auf dem Standpunkt, dass letztlich niemand zu Schaden gekommen sei, auch das Klangforum nicht. Mit der LIVA kam es vor Gericht zum Vergleich, der vorsieht, dass das Klangforum bei den Brucknerfesten 2011 und 2012 jeweils mit einem Konzert gastieren wird. Zu Konditionen, die für das Klangforum „finanziell lukrativ“ sind, wie Hartberger sagt, zu einem „räsonablen Marktpreis“, wie Winkler meint.
Ist alles mit Geld getan? Wohl kaum, denn eineinhalb Jahre danach sind die Emotionen noch immer spürbar. Bernhard Lang zeigt sich von der „Indifferenz“ der Produktionsverantwortlichen enttäuscht, und beklagt, dass es für seine Hommage an den Linzer Poeten Christian Loidl, auf dessen Text das Werk basiert, zwar aufmunterndes Schulterklopfen gegeben habe – nach dem Motto „Mach mal!“ – im Endeffekt hätte es aber keine Lobby gegeben, die das Projekt wirklich unterstützt habe. Sven Hartberger sieht es als „Schande“, in welcher Form sich Linz09 aus der Produktionsverantwortung gestohlen habe. Fein hätten sich weder die LIVA noch Linz09 verhalten. Martin Heller vermutet hinter Hartbergers Vorhaltungen die Angst um des Klangforums Integrität in Sachen Kostenwahrheit, zudem eine gewisse Hauptstadthochnäsigkeit und rundherum mangelndes Vertrauen. Als man nach der Absage noch ohne LIVA zu produzieren versuchte, hätte es auch von Hartberger kein Entgegenkommen gegeben, Peter Androsch spricht von einem „zu diesem Zeitpunkt längst vergifteten Klima“. Das Verhalten Hartbergers, diese „Hassgeschichte“, kann sich Martin Heller nicht wirklich erklären.
Wolfgang Winkler bezeichnet seine Emotionen bezüglich des Projekts als Privatsache und blickt darauf „professionell zurück“. Den Prozess sieht er als Stellvertreterkrieg, Linz09 sei froh gewesen, nicht selbst in der Schusslinie zu stehen. Er selbst habe ja die Oper weder beauftragt noch abgesagt. Letzterem widerspricht ein Mail vom 28. Mai 2008 (das spotsZ vorliegt), in dem Winkler dem Klangforum „die Absage mitteilen muss“. Das er generell nach anderen, billigeren Klangkörpern Ausschau gehalten habe, bestätigt Winkler im Gespräch, von einer Absage will er aber dezidiert nichts wissen. Letztlich setzt der LIVA-Direktor ganz auf eine rosigere Zukunft, ohne Presseschlacht und Prozess. Mit Bernhard Lang sei man in friktionsfreien Gesprächen über zukünftige Projekte und das Klangforum wäre inzwischen ja auch bei 4020 zu Gast gewesen. In einem sind sich alle Beteiligten jedenfalls einig: So etwas hätten sie noch nie erlebt.
Die Oper „Montezuma – Fallender Adler“ wird nun am 26. März 2010 am Nationaltheater Mannheim ihre Uraufführung erleben. Die Geschichte einer missglückten Produktion wird wohl in Linz zurückbleiben, wie auch fast alle der vom Komponisten vorgesehenen Musiker. Dafür sind zwei Herren involviert, die zuletzt bei Linz09 zu Gast waren: Regie wird Peter Missotten führen, der am Linzer Landestheater die Kepler-Oper inszenierte. Der für „Kepler“ engagierte dramaturgische Berater Klaus-Peter Kehr bekleidet in Mannheim das Amt des Operndirektors. Von einer Vermittlung durch Linz09 ist weder Heller noch Androsch etwas bekannt.
Nicht ganz ein Adler, aber gut, das Projekt wurde auch eher schlecht kommuniziert.
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