netzslashnest
Text entstanden im rahmen der wienerwortstätten 2009.
figuren: susanne, anna, jodi
(Textauszug)
1.
schnellbahnstation zentralfriedhof. 14.46 h.
susanne steht und wartet. jodi, einen tramperrucksack auf dem rücken, steht neben ihr.
jodi (zeigt in richtung stadt) city center?
susanne ja
jodi vienna?
susanne ja, ja.
jodi you’re sure?
susanne ja.
jodi does not look like.
susanne (zuckt mit den achseln) ja.
susanne setzt sich auf die bank. jodi packt eine kamera aus und beginnt zu fotografieren.
jodi will ein bild von susanne machen.
susanne you should ask before.
jodi sorry. so, may I?
susanne nein.
jodi why not?
susanne I don’t want to.
jodi but you look nice.
susanne I said I don’t want to.
jodi ok.
jodi macht weiter fotos.
susanne jeder bahnhof, sogar diese station im nirgendwo, die sich zwischen die felder pickt, ist wie der westbahnhof. der himmel ist grau, wie fast immer in dieser stadt. meine schwester und ich stehen am bahnsteig, rauchen eine schnelle zigarette. budapest, bukarest, basel. wir können es uns aussuchen. am ende wird es wohl linz oder graz oder salzburg werden. immerhin. ein anderes grau sehen. es geht um uns, nicht um den ort, haben wir beschlossen, und entscheiden uns für den nächstmöglichen, egal wohin.
jodi (deutet auf den zentralfriedhof) what’s this?
susanne for sightseeing.
jodi oh yes?
susanne ja.
jodi can you take a picture of me?
susanne you’re sure?
jodi ja.
jodi stellt sich unter das schild zentralfriedhof. susanne macht das foto.
jodi thanks.
susanne no problem.
jodi you’re nice.
susanne ja.
jodie so this is a famous place?
susanne hinter dem zug nach bukarest, der am gleis daneben bereit steht, ziehen sich die dächer der zinnshäuser. ein zweiter, viel längerer zug. die felberstraße. die straße, die uns am vertrautesten von allen straßen ist. war. ich muss sagen war. die straße, die für so vieles, für so widersprüchliches steht. stand. ich muss sagen stand. jeden tag gingen wir den weg in die schule am maschendrahtzaun entlang, das fahren der personenzüge, lastzüge, lokomotiven beobachtend. wir streckten unsere finger durch die löcher. nur ein paar meter, die böschung hinunter, und wir konnten überallhin, wohin wir wollten, die hand ein wenig weiter ausgestreckt, noch weiter weg, wohin wir uns träumten.
jodi so this is a famous place?
susanne ja.
jodi cool.
anna kommt auf den bahnsteig und auf die beiden zu.
jodi vienna?
susanne ja.
jodi you’re really sure?
susanne of course.
anna setzt sich neben susanne. sie zünden sich eine zigarette an.
anna warum rennst mir immer davon?
jodi that’s bad for your health.
anna so what?
schweigen
jodi where do you come from?
susanne deutet auf den zentralfriedhof.
jodi no, I mean /
anna / where are you from?
jodi I came directly from the plane.
anna no, where do you come from?
jodi the airport.
anna got it. falsch ausgstiegn.
susanne (zeigt auf den himmel) das wird immer dichter, da oben.
jodi yes, yes. airplane.
anna ich versteh eh.
jodi is it true, that everything is so old here?
anna ja.
susanne nein. sie is ende zwanzig.
jodi that’s so awesome.
susanne nein. beklemmend is.
jodi what?
susanne it is (würgt an ihrem hals) you know.
jodi why? you should be proud to live in a tradition like this.
susanne derschlagen tuts dich, manchmal.
jodi pardon?
anna immer zog mich meine mutter am arm, es war herbst, zog mich am arm, die felberstraße hinunter, an einem hauseingang vorbei, in dem eine frau stand, mit kurzem schwarzem kleid, hohen stiefeln, einer dünnen jacke, und immer fragte ich meine mutter, was sie hier tue, und immer sagte meine mutter, sie warte auf ihren freund, und immer fragte ich sie, warum die frau so dünn bekleidet sei, wo ich doch in meiner hässlichen kinderjacke fror, und immer wieder liefen wir, in trachten gesteckt, in walkjanker und dirndl geschnürt, die beiden kleinen mädchen in dirndl gezwängt, sie darin eingeschnürt, auf dem weg zur kirche an dieser frau vorbei, mit diesen idiotischen kniestrümpfen, die die haut auf meinen beinen bis zur unerträglichkeit reizten und ich nicht kratzen durfte, weil es sich für eine dirndlhaltung nicht schickte, und immer hielt ich ausschau nach der frau, die auf ihren freund warten musste und immer stellte ich mir vor, wie sie sich fragen würde, warum ich bei diesem wetter mit kniestrümpfen mit löchern die straße entlanglief.
susanne I said it’s sometimes punching your head.
jodi what?
susanne the tradition.
jodi I don’t get it.
susanne never mind.
jodi is this a german metaphor?
susanne nein.
anna was nein?
susanne es war sommer.
anna egal
susanne es war sommer, ich lief die felberstraße mit meinen brandneuen converse hinunter. es regnete, die stoffschuhe hatten sich binnen kürzester zeit mit wasser vollgesogen, sodass mein laufen eher einem watscheln gleichkam, und doch watschelte ich stolz, im bewusstsein, dass mich diese schuhe kein kind mehr sein ließen, die felberstraße hinunter, bis zur großen kreuzung am ende, wo fünf straßen zusammenliefen, wo ich die ampelschaltung nach sekunden genau auswendig wusste, wo die züge über die brücke hoch über mir hinwegrollten. die felberstraße sah mir zu, wie ich da stand, in meinen schicken converse, im geruch der autoabgase, eingehüllt in den gleichmäßigen lärm der räder auf den schienen. sie sah mir zu, wie mein körper länger wurde, meine haut unreiner, mein busen – eine katastrophe – komisch abzustehen begann und mein selbstverständnis als kleiner bub komplett unterlief. sie sah mir zu /
anna / es war winter, immer war es winter, die felberstraße vereist, und immer rutschte ich sie mit meinen brandneuen converse hinunter, und immer lag auf dem gehsteig eine alte frau, immer direkt vor mir. ihr blick traf mich, ich sah weg, verlangsamte meinen schritt, und immer wusste ich, ich sollte hingehen und ihr aufhelfen, ihren körper auf meine arme stützen und sie hochziehen, und immer grauste mir nur. ich sah dieses braune bündel vor mir auf dem boden. so wie mein vater da gelegen hatte, sturzbetrunken, in seinem walkjanker, ein paar wochen zuvor, nur einige hundert meter von der stelle entfernt. so wie ich ihn liegen gelassen, wie ich mich nicht mehr nach ihm umgedreht hatte, immer, ohne zu wissen, dass es das letzte mal in meinem leben gewesen sein sollte, dass ich ihn sah. die frau blickte mich an, immer blickte sie mich an, während ich langsam um sie herum ging, dann schneller, immer schneller, in meinem rücken spürte ich sie ganz deutlich. ich schämte mich. immer schämte ich mich für mich, für sie, für meinen vater.
susanne nein.
anna was nein?
susanne es war herbst.
jodi nein. nein. nein.
anna/susanne
was nein?
jodi you are cute when you talk in this language.
anna warum rennst mir immer davon?
susanne du warst so langsam.
anna ich hab die kerzen noch anzunden. das hättst abwarten können.
susanne wollt dich nicht stören.
anna gibt susanne eine kerze.
anna ich mach die arbeit nicht für dich.
susanne hab dich auch nicht drum beten. is dein scheiß jahrestag.
anna seiner.
susanne is dein ganzes tamtam.
anna spürst nie eine traurigkeit.
susanne drück mich halt anders aus.
anna sieht ma nix davon.
jodi so there’s no sun here?
anna never. but you should go to the alpen, there it is beautiful and full of sun.
jodi I see.
susanne that’s not true.
anna you know skiing?
jodi no.
anna wirft sich in skipose.
anna you see.
jodi oh that’s cute.
anna you see, this is really cultural.
susanne don’t listen to her. she just makes fun of you. she loves to play the strange yokel.
jodi I see.
anna was hast gsagt?
susanne nix.
anna dass ich ein jogel bin.
susanne 1 km gegen den wind.
anna was is dein problem?
susanne nix.
anna was mischt dich dann ein?
susanne lass in frieden.
anna was geht dich das an? (zu jodi) she’s a crazy girl.
jodi I see.
anna where do you go?
jodi to vienna.
anna no where do you go?
anyways you should go to the alpen. it is more beautiful there.
jodi ok.
anna listen to me.
jodi ok.
susanne jetzt lass endlich in frieden.
anna was zickstn rum da die ganze zeit?
susanne du nervst.
anna she is totally (tippt sich mit dem finger an die stirn) plemplem.
jodi oh that’s cute. plemplem?
anna plemplem
jodi I see.
susanne geh sterbn endlich.
jodi why are you fighting all the time? are you lesbi?
anna she’s my sister
jodi oh I see.
anna ja
jodi I see
anna ja
jodi when does the train come?
susanne it should have been here 10 minutes ago.
anna no hurry. you know, we are really kommod.
jodi commode?
anna verstehst? (lehnt sich zurück) comfortable.
jodi a comfortable commode?
anna ja.
jodi ok.
susanne wer soll das sein, wir?
anna warum redest dagegen, immer wenn ich was sag?
susanne in jeder kleinigkeit hast was von großer oper. immer fühl ich mich dadurch auch tragisch.
anna dann schleich dich halt.
spotsZ veröffentlicht GewinnerInnen des Musentempel-DRAMAWETTBEWERBS. Die zweite Vorauswahlrunde des Autorenwettbewerbs, veranstaltet von Theater Phönix und dem KV Musentempel, hat Ursula Knoll mit „netz/nest“ für sich entschieden; außerdem wurde die Berliner Autorin Susanne Mewe mit „Auf Eis“, einem psychologisch feinstimmigen und überraschendem Beziehungsdrama als zweite Gewinnerin von der Jury auserwählt. Die Dramatikerinnen werden zur Finalrunde im Mai eingeladen. Die dritte Vorrunde findet am 15. März statt. Der/Die SiegerIn des ganzjährigen Wettbewerbes erhält einen Stückauftrag für die Spielsaison 2010/2011. Vollständige Texte und Infos zum Wettbewerb: www.myspace.com/musentempel
Der zweite Teil des Musentempel-Dramawettbewerbs fand im Rahmen eines „Musentempel-Orientalis“ im Salzamt statt.
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