Literatur als Utopie und Verfransung

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Der 1960 in Ried im Innkreis geborene Linzer Autor Christian Steinbacher wurde soeben für seinen Text „Kaum konzertante Konzentrate“ mit dem Wartholzer Literaturpreis ausgezeichnet. Außerdem gibt es im April einen weiteren Anlass, den umtriebigen Autor zu feiern.

Als Hommage zu seinem anstehenden 50. Geburtstag richtet die Künstler­vereinigung MAERZ nun eine von Florian Neuner kuratierte Veran­stal­tung aus, die mit Elfriede Czurda, Gerhard Rühm und Ulrich Schlotmann drei für Steinbachers eigenes Schreiben wichtige Positionen vorstellt.
Seit seiner 1984 erfolgten Übersiedlung nach Linz widmet sich dieser ganz der Literatur. Nicht nur als Autor, sondern auch als Initiator, Vermittler und Kurator etwa des seit 2005 alle zwei Jahre stattfindenden Poesiefestivals „Für die Beweglichkeit“ oder der vierteljährlichen „Linzer Notate“ der Künst­lervereinigung MAERZ ist Steinbacher seither in Erscheinung getreten. Zwi­schen 1994 und 2000 fungierte er zudem als Herausgeber von „Blattwerk“ im selbst gegründeten gleichnamigen Verlag. Mit AutorInnen wie Waltraud Seidelhofer oder Andreas Okopenko positionierte sich die insgesamt 31 Ti­tel umfassende Buchreihe einerseits gegenüber der Tradition einer österrei­chischen Literaturavantgarde, für die ab den späten 1960er-Jahren Heimrad Bäckers „edition neue texte“ stilprägend war. Mit der Präsentation von Ar­beiten von Judith Fischer, Ronald Pohl oder Franzobel erschloss Blattwerk andererseits Positionen, die die kritische Reflexion über Fragen der Form mit aktueller literaturgeschichtlicher Debatte und originellen Sujets zu paaren verstanden. Dadurch rückten Formen künstlerischer Interdis­zipli­nari­tät, für die etwa Bodo Hell, Angelika Kaufmann oder Fritz Lichtenauer exempla­risch einstehen, erneut in den Mittelpunkt einer Beschäftigung mit poetischen Verfahrensweisen, die im konsequenten Ineinander von Text und Bild der Edition ihre vielgestaltige Entsprechung fand.
Dieses Ineinander kennzeichnet auch Steinbachers eigenes Arbeiten, das un­ter Poesie seit jeher „die kreativen Prozesse des Herstellens, Machens und Vermittelns“ jenseits tradierter Gattungsgrenzen fassen will. In seinem Werk bilden theoretische Reflexion und praktisches Tun keinen Wider­spruch, sondern knüpfen vielfältige Beziehungen, die die klassische Rol­len­teilung des etablierten Literaturbetriebs bewusst zu unterlaufen suchen. Li­teratur ist für Steinbacher eine Lebensform, ein Mittel zur Kommunikation, wie auch an seinen zahlreichen Gemeinschaftsarbeiten (u.a. mit Christoph Herndler, Franzobel, Elisabeth Wandeler-Deck) deutlich wird. Dement­spre­chend ist Dichtung nicht von der Philosophie, der Verleger nicht vom Autor, der Essayist nicht vom Dichter, der Leser nicht vom Schreiber zu trennen, der dem romantischen Gestus vom autonom agierenden Dichter-Ich zum Trotz Zuflucht bei einer Diskussion sucht, die Literatur mehr als Her­vor­bringer neuer Weltentwürfe denn als Abbild bestehender Wirklichkeiten ver­stehen möchte. Literatur als Utopie, die ihre exemplarische Gestaltung in Werken so unterschiedlicher DichterInnen wie den nun in die MAERZ-Galerie geladenen Elfriede Czurda, Gerhard Rühm und Ulrich Schlotmann oder bei Zsuzsanna Gahse, Florian Neuner, Oskar Pastior und Paul Wühr findet, denen Steinbacher wichtige Impulse für sein eigenes Schreiben verdankt. Bei seinen beiden großen Prosabüchern „Die Treffsicherheit des La­mas“ und „Für die Früchtchen“ handelt es sich folgerichtig um poetische Lek­­türeberichte und seine Gedichte kennen neben Widmungen auch „Anru­fun­gen“, die auf die differenzierte Weiterführung vergessener literarischer Tra­di­tionslinien anspielen und diese bisweilen widerstreitend in die eigene dich­terische Stimme zu integrieren suchen. Texte, die allesamt einem „HOFFEN AUF VERFRANSUNG“1 geschuldet sind, das dort beginnt, wo die Welt als Sinnüberschuss in der eigenen Dichtung die Überhand gewinnt.
Dementsprechend erweist sich Steinbacher als Meister der Anver­wand­lung, der es in Prosa wie Lyrik gleichermaßen versteht, vorgefundenes Text­mate­rial in neue Kontexte zu übersetzen, um Silben, Phonemen oder einzelnen Wör­tern überraschende Bedeutungen abzuringen: „Durchleuchtungen, die auch die jeweils rückwärtige Seite, das was sich hinter den Begriffen verbirgt, sichtbar werden lassen.“2 Literatur als lustvolles Spiel mit der Dekons­truktion, das nach neuen Genres wie „Zierleisten“, „Mehrzweckklemmen“, „Text­mieder“ und „Maul-Würfe(n)“ verlangt, als endlose Fort- und Um­schrei­bung des sich Ereignenden: „Und das, was da dann drauf folgte, war sowieso nicht mehr zählbar, sondern wieder einmal nur etwas durcheinander ge­raten.“3

1    „der wandel motzt“, Seite 48
2    Franzobel über „Spiel mit 28 Steinen“, in: „Zwölf Dutzend“, Seite 4
3    „Die Treffsicherheit des Lamas. Oder: Von Melancholien, Maul-Würfen und deren Zurückweisung“, Seite 149

linzer notate 2/10: Ein literarischer Abend mit Franz Dodel, Christian Filips und Barbara Köhler, Moderation: Christian Steinbacher. Di 06. April, 19.30 h, Künstlervereinigung Maerz
linzer notate 3/10: Ein literarischer Abend für Christian Steinbacher zum 50sten mit Elfriede Czru­da, Gerhard Rühm und Ulrich Schlotmann, Moderation: Florian Neuner. Mo 26. April, 19.30 h, Künst­lervereinigung Maerz
Mittagslesung & Mittagstisch: OÖ AutorInnen lesen aus ihren Werken: Christian Steinbacher. Es wird serviert: Tomatensuppe. Do 29. April, 12.30 h, StifterHaus

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