... vermeiden, miteinander in Berührung zu kommen.

AutorIn: 
Die Zoogeschichte, ein Stück des amerikanischen Dramatikers Edward Albee, das 1959 in Berlin Aufsehen erregte, wird nun von der bühne04 wiederaufgeführt. Das Stück enthüllt Gewalt, absurdes Besitzdenken und soziale Ausgrenzung als Bedingungen einer bürgerlichen Selbst­zu­frieden­heit. Manuela Mittermayer führte ein Interview mit Cornelia Meschitzer.

Peter und Jerry sind zwei Fremde, die sich zufällig im Park begegnen, aber einander nicht verstehen können, weil ihre soziale Herkunft gegensätzlicher nicht sein könnte. Warum ist die Kluft zwischen den beiden Menschen so groß? Wofür stehen die beiden?
Peter und Jerry stehen zunächst einmal für die bei­den Seiten unserer Wohlstandsgesellschaft. Peter ist ihr Gewinner und Jerry ihr Verlierer. Es wäre nicht gut, möchte das Theater hier Harmonie­aus­gleich betreiben, weil es dann den realen gesellschaftlichen Spannungen nicht gerecht wird und auch das Stück selbst relativ unspannend bliebe. Aber auch diese scheinbare S/W-Zeichnung der Ge­sellschaft ist natürlich eine Verkürzung. Albee ist ja ein begnadeter dramaturgischer Baumeister und gleichzeitig ein scharfer Beobachter gesellschaftlicher Zustände. Er verwendet den Gegen­satz der beiden nur als Ausgangspunkt und blickt dann relativ rasch auch hinter die Kulissen. Nach und nach beginnt er, die Gemeinsamkeiten der bei­den Gegenspieler freizulegen. Dabei geht er vor al­lem der bürgerlichen Fassade an die Substanz und bringt sie zum Bröckeln. Er wollte mit diesem Stück im Grunde den damals herrschenden Mythos vom „Amerikanischen Traum“ zerstören. Sein Under­dog Jerry hätte ja viele gute Anlagen, er ist hoch intelligent und eine Kämpfernatur. Trotzdem kann er sich nicht durch eigene Kraft aus seinem Elend befreien. Die Kluft zwischen Arm und Reich empfindet er vor allem als ideelle Kluft. Er ist sozial isoliert und fühlt sich sehr einsam.

Was sind diese versteckten Gemeinsamkeiten der beiden?
Beide sind sie Gefangene des Systems. Bevor sie im Park aufeinander treffen, war Jerry ja im Zoo und hat dort Sozialstudien betrieben. Er hat beobachtet, dass der Zoo die Menschenwelt abbildet. Nun drängt es ihn, seine Theorie an einem Art­ge­nossen zu verifizieren. Im Lauf ihres Gespräches muss Peter dann erkennen, dass Jerrys Welt mehr mit seiner eigenen zu tun hat, als ihm lieb sein kann, dass auch er ein Gefangener seines Milieus ist, seiner Lebensgewohnheiten, außerdem ist er ein Opfer tödlicher Selbstzufriedenheit und ab­sur­den Besitzdenkens. Das alles will er aber nicht wahr­haben. Dafür hat er es sich in seinem Käfig schon zu gut eingerichtet.

Wenn die Menschen, wie Jerry erkennt, in ihrem Milieu gefangen bleiben, so können sie sich auch nicht ändern. Leben wir nicht mitt­lerweile in einer Zeit, in der soziale Zugehö­rigkei­ten sich auflösen, vorwiegend ein „jeder gegen je­den“ zählt und in der vom einzelnen ständige An­passung und Ver­ände­rung verlangt wird?
Ich glaube, dass man seinem angestammten Mi­lieu – welchem auch immer – nur unter großen Schmer­zen entkommen kann. Außerdem ist Jerry ja ein Einzelkämpfer und gleich­zeitig verkörpert er den kollektiven Zorn der Underdogs. Doch nicht ein­mal vom Hausmeisterhund fühlt er sich verstanden.

Welche Rolle spielt genau die „Geschichte von Jerry und dem Hund“?
Sie ist das Kernstück des Dramas, weil sich hier die Botschaft der Parabel enthüllt. Und weil wir das Publikum auch über die Schaulust erreichen wollen, haben wir diese schräge Begegnung von Mann und Hund in eine Art Zirkusnummer, eine „Seelen-Show“ eingebettet. Damit soll allen auf plastische Weise die Gleichgültigkeit für einander vor Augen geführt werden und dass Bezie­hungs­lo­sigkeit einem großen Verlust an zwischen­mensch­lichen und gesamtgesellschaftlichen Mög­lich­keiten gleichkommt.

Die Zoogeschichte wurde 1959 uraufgeführt, ist al­so ein Werk der Nachkriegsliteratur. Hat sich die Bedeutung des Stücks seither verändert?
Das Stück wurde in Europa (Westberlin) uraufgeführt und traf – nicht zuletzt durch seine absurde Ästhetik – den Nerv eines vom Krieg desillusionierten Publikums. Heute haben wir mit der EU ja eine relative Garantin für den Frieden, aber der soziale Unfrieden wächst wieder und geistige und materielle Verarmung ist immer ein Pulver­fass. Das Stück ist daher hoch brisant.

Mit welcher Motivation wurde dieses Stück ausge­wählt? Was soll für das Publikum als Kernaussage des Stücks oder übrigbleiben?
Da wir das Theater grundsätzlich als Seismograf und Korrektiv für gesellschaftliche Entwick­lun­gen verstehen, gleichzeitig aber auch als ästhetisches Produkt, interessiert uns vor allem, mit wel­chen Mitteln sich so dringliche Themen wie soziale Un­gerechtigkeit, Außenseitertum, Ent­soli­darisie­rung und dergleichen wirkungsvoll einem breiten Pu­bli­kum vermitteln lassen. Mich gruselt am meisten bei dem Gedanken, dass hier ein Leben ausgelöscht wird, das letztlich nicht einmal eine Zei­tungs­notiz wert sein wird und ein Fall für den Lei­chenbeschauer bleibt. Es liegt nun am Theater, die ganze Geschichte zu erzählen, die Lebens­um­stände dieser gescheiterten Existenz auszubreiten, ein Stimmungsbild zu erzeugen, davon, wie soziale Kälte die Menschen in den Abgrund treibt.

Mit welchen Mitteln der Inszenierung wurde gearbeitet?
Ich glaube, dass purer Naturalismus auf der Büh­ne der beinharten Realität draußen nicht gerecht werden kann, weil sich die Menschen – wie auch im wirklichen Leben – dann oft verschließen. Und weil Lachen und Staunen öffnet, haben wir dann auch mit Verfremdungen und einer Ästhetik des Grotesk-Absurden gearbeitet. Damit möchten wir zugleich auch dem Doppelcharakter des Stücks ge­recht werden, dieser spannenden und seltenen Mi­schung aus absurdem und psychologischem Drama.

Was hat die bühne04 als nächstes vor?
Als nächstes steht wieder ein Kindermusical auf dem Programm, auch hier haben wir wieder das Motiv des Außenseiters, eines bunten Vogels, der von seiner tiefschwarzen Rabengesellschaft ausgestoßen wird und als Straßenkünstler in die Welt hinausfliegt.

Termine:
01., 07., 08., 09., 14., 15., 16., 28., 29., 30. März, sowie 04., 05., 06. April, jeweils 20.00 h
Kulturzentrum HOF, Ludlgasse 16, 4020 Linz
Kartenreservierung: 0699/11 399 844 oder karten@buehne04.at
www.buehne04.at

23
Zurück zur Ausgabe: 
03/08
FotoautorInnen: 
Anna Zangerle

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014