No man is an island

„a tempo! a tempo!“ heißt das neue phantastische Album der Linzer Band Valina. Es wird am 8. März in der Linzer Stadtwerkstadt präsentiert. Vorab ein Gespräch mit Sänger und Texter Anatol Bogendorfer über eigenständige künstlerische Wege, repressive Religion und das „Kriminelle“ der Hochkultur.

Ihr tourt derzeit (Stand Ende Februar, Anm.) quer durch Europa. Ist das mehr freudvoll oder anstrengend?
Anatol Bogendorfer: Auf Tour sein, live zu spielen und dabei auch weltweit neue Leute, andere Künstler und Freaks kennenzulernen, ist tatsächlich eines der schönsten Dinge in unserem Bandleben. Die Fahrerei ist na­tür­lich manchmal anstrengend, aber es ist auch so, dass wir diese Zeit im Bus nutzen, um das zu tun, was einem zu Hause fast kategorisch verwehrt bleibt, systemimmanent oft zu knapp kommt. Reden, in die Luft schauen, träu­men. Dieses „Unterwegs sein“ lässt uns über den berühmten Tellerrand schauen, es lässt uns selbst stets neu verorten und hat wohl essentiell zu zwei wichtigen Sachen beigetragen: Linz ist uns zum Leben nicht zu klein geworden, weil wir andauernd eine andere, größere Welt draußen sehen dür­fen. Zum anderen trägt dieses „Draußen in der Welt sein“ dazu bei, dass man sich selbst nicht allzu wichtig nimmt und „gar so supa“ findet.

Für „a tempo! a tempo!“ konntet ihr wie­der Steve Albini als Produzent (u. a. Pixies, Nirvana) gewinnen. Wie ist es zu diesem Kontakt gekommen? Wie läuft konkret die Arbeit mit so einer Independent-Ikone?
AB: Kennen gelernt haben wir uns bei einem gemeinsamen Konzert in Mün­­chen. Dann haben wir das Vor­gän­­ger-Album mit ihm gemacht und uns recht gut verstanden. Steve ist ein extrem integrer Mensch, sehr in­telligent, witzig und eben auch selbst ein Musikfan! Mit ihm zu ar­beiten war erneut wieder sehr einfach und mit einer extrem guten Zeit verbunden. Alle waren sehr konzentriert. Wir wussten genau, was wir wollten, und alles funktionierte so einfach und unkompliziert, wie sich das ein Au­ßenstehender wahr­scheinlich kaum vorstellen kann. Neben der Arbeit im Studio, die ja auch sehr lustvoll und easy verlief, hatten wir, weil eben alles wie am Schnür­chen lief, genug Zeit, um miteinander in den Pausen über al­les Mögliche zu quatschen, über Musik, Es­sen, Politik ..., Filme zu schauen, Freundschaft zu schließen, viel Spaß zu ha­ben. Die Stimmung im Studio war einmalig gut. Zu­sammengefasst war dieser Studioaufenthalt wohl ein weite­res großes High­light im Leben von uns drei. 14 Tage lang mit Steve ein Team zu bilden, stur und konsequent unsere Ideen umsetzen zu können und dann noch jemanden zu haben, der nicht sich selbst „produzieren“ will, sondern – wie Steve – einfach die Band in ih­ren Ideen unterstützen will, dann ist das simply great und genau der Grund, warum wir gerne mit ihm zu­sam­menarbeiten.

Auf dem Album scheppert’s und kracht’s, dass es nur so eine Freude ist. Eine vorbeugende Maßnahme dagegen, in irgendeine Musikschublade eingekastelt zu werden? Könntet ihr mit Etiketten wie Post-Punk, Indie leben?
AB: Ich sehe das sehr nüchtern. Kategorisierungen machen es Außen­ste­hen­den, manch Veranstaltern und Kritikern kurzfristig leichter, eine Band zu beschreiben. No problem. Dementsprechend ist mir das aber wurscht, weil wir selbst nie in solchen Kategorien gedacht haben. Wir haben einen sehr offenen Zugang zum Musikmachen, verweigern, so weit es geht, Klischees und abgetrampelte Pfade. Anfangs war es natürlich schwieriger für eben je­ne Außenstehenden, uns einordnen zu können. Langfristig hat sich das aber ausgezahlt. Mittlerweile haben wir wohl ein künstlerisches Vokabular erarbeiten können, das nun auch von anderen verstanden und vielleicht auch gesprochen wird. Apropos: Erwähnenswert in diesem Zusammenhang er­scheint mir noch, dass wir zwar vielleicht tatsächlich einen sehr eigenen Weg gegangen sind – gemäß der Politik der kleinen Schritte – dass wir uns aber sowohl musikalisch, künstlerisch als auch politisch und vor allem menschlich immer in eine realitätsnahe Beziehung zu unserer Umwelt und unserem Umfeld setzen wollten. No man is an island. Wir sehen uns in einer Szene, leben nicht abgekoppelt, wollen mithelfen, Dinge entstehen zu lassen, gemeinsam mit anderen Menschen.

Ihr habt einen neuen Schlagzeuger: Wie passt das zur personellen Kon­ti­nui­tät, dem „Herzensprojekt“ Valina?
AB: Seit zwei Jahren spielt Anselm Dürrschmied statt Claus Harringer, der aus sehr persönlichen Gründen leider aufhören musste. Noch mit Claus ha­ben wir damals nach der zweiten US-Tour überlegt, ob wir dann aufhören sollen. Wir waren uns aber schnell einig, dass die Band Valina sowohl krea­tiv als auch hinsichtlich der Tourmöglichkeiten und dem ganzen Rest noch viel vor sich hat und jetzt nicht aufhören sollte. Tja, und dann gab’s nur ei­nen Menschen in unser aller mind, von dem wir wussten, dass er technisch gut genug wäre, Claus nachzufolgen. Nach zwei Jahren, davon eineinhalb Jah­re Arbeit am neuen Album, Tourneen in Russland, der Türkei, Eu­ro­pa und erneut in den Staaten, können wir sagen: Wir fühlen uns so sehr als Einheit, als ob Anselm schon seit zehn Jahren dabei wäre. Musikalisch wie menschlich. Ich glaube, wir haben noch mal ein paar Schritte nach vor­ne gemacht.

Die Musik auf „a tempo! a tempo!“ treibt ungemein. Woher speist sich diese Kraft, auch aus Wut? Zeilen wie „clerical hysterical perverts / they can do kiss my ass“ lassen an Heftigkeit ja kaum Wünsche offen.
AB: Dem Album unterliegt ein inhaltliches Konzept. Es geht um „Zeit“. Und zwar werden in jedem einzelnen Song Aspekte dieses großen und uralten The­menkomplexes unter Berücksichtigung persönlicher Standpunkte, Ge­schichten und Erfahrungen abgehandelt. Philosophiegeschichtliches wie Kant, Newton, Proust und Einstein spielen dabei eine Rolle, dazu kommen abstrahierte Bilder aus meinem Leben, die mit dem Thema kontextualisiert werden. Tja, ich habe keine Angst davor, Dinge konkret anzusprechen – lyrisch tu ich das zwar sehr selten und möchte Geschichten subtiler verpac­ken, aber manchmal sehe ich tatsächlich die Not­wendigkeit konkret, nicht abs­trakt zu formulieren. Eben in jener Textzeile auch. Die Story dazu zusam­mengefasst: Die Kirche hat vor etlichen hun­dert Jahren den „Mehrklang“ verboten, nur der Einklang war erlaubt, weil es ja auch nur „einen Gott ge­ben kann“. Der Dreiklang war dann das nächste, was sie erlaubt haben, du weißt schon, wegen der Dreifaltigkeit. Die Kirche hat eben auch in punkto Musik allzu lange die Ge­schichte und Geschichtsschreibung diktiert, auf Kos­­ten der Vielfalt, auf Kosten einer sozialen und philosophischen „Wahrheits­findung“. Erst die Mo­der­ne in der Kunst stellt da eine Zäsur dar. Ab da musste nicht mehr alles „göttlich“ konnotiert sein. Ich will mich hier aber nicht lustig machen über religiöse Menschen, ich will nur (m)eine Uto­pie manifestieren, wo ein Leben möglich sein muß, in dem man keinen Gott – welchen auch im­mer! – braucht, um glücklich sein zu können!

Wie wichtig ist der Text? Entwickelst du ihn assoziativ zur Musik, oder ist der Text zuerst da?
AB: Texte entstehen zeitlich parallel zur Musik. Was soll ich sagen? Ich liebe Lyrik, ich liebe Lyrik zu lesen, ich liebe Lyrik zu verfassen. Ein Hobby auch jenseits der Musik … Auch im Wissen, dass wahrscheinlich viele Hörer dem Text gar nicht so viel Bedeutung beimessen, will ich es mir nicht nehmen lassen, in die Texte sehr viel Liebe zum Detail, Energie und Zeit zu in­ves­tieren. Lyrik in Verbindung mit Musik ist ja nochmals extra span­nend für den Verfasser. Neben dem Erzeu­gen von Bildern und dem Schaffen von Be­deu­tung, ist es ja eine schöne Herausforderung, die eigene Rhythmik des Textes auch mit jener der Musik zu verbinden. Manchmal geht das leicht von der Hand, manchmal ist das aber auch intensive Arbeit, wie jeder weiß, der sich mit Text per se schon auseinandergesetzt hat.

„But it’s good to know / where we wanna go“ heißt es im für mich fulminanten letzten Lied „Libido’s Regime“: Gemäß der Band-Philosophie, der eigenen Meinung treu zu bleiben?
AB: Ja, das spricht natürlich auch ein wenig über uns selbst, obwohl es in diesem Text hauptsächlich um Abhängigkeitsverhältnisse im Umgang mit seiner eigenen und einer „fremden“ Libido geht.

Das Album ist graphisch wunderbar gestaltet, a­ber ohne euch. Habt ihr kei­ne Lust, als coole Rock’n’Roller zu posieren? Wäre das zu an­bie­dernd?
AB: Nun ja, da spielt wahrscheinlich weniger die Sache mit der Anbie­de­rung eine Rolle als vielmehr mein Wunsch, auch ästhetisch präzise zu ar­bei­ten. Es wäre ein Fehler zu glauben, nur dann „wahrgenommen“ zu werden, wenn man sich stän­dig selbst in den Vordergrund drängt. Legt man das auf die Welt um, in der wir leben, sind wir genau da, wo wir sind: Die Star­ken diktieren den Schwächeren ihre Bedürfnisse. Fuck it! Bil­der und Mechanismen sind nichts „Genuines“, sie werden erzeugt und demonstriert, oft nach einer grausligen Logik, wo ich gerne sage: Njet, das will ich mal ge­nüsslich in Frage stellen, ihr Arsch­lö­cher da draußen!

Hat euch nie die Lust gepackt, die Sache kommerzieller anzugehen? Immer­hin bestünde dann ja die Möglichkeit, nie wieder von „anständigen“ Jobs ab­hängig zu sein.
AB: Abgesehen davon, dass ich gar nicht wüsste, wie das gehen könnte, „kommerzieller zu sein“, liegt in der Sache, die du ansprichst, ein Teil un­se­rer Philosophie. Das, was wir tun, mit dieser Band, lässt uns so viel „ernten“, so viel Lust erleben und so viele gute Erfahrungen machen, so dass wir sagen: Das ist uns einfach zu wichtig, um es Gesichtspunkten unterzuordnen, die im Ver­gleich dazu doch lächerlich aussehen würden. Das hat also nichts mit einer unreflektierten Schwarz/Weiß-Malerei bzw. mit einer un­hin­terfragten „Old-School-Punk“-Position zu tun, sondern ist der große Wunsch, tatsächlich manche Dinge im Leben unabhängig und frei gestalten zu können. Abgesehen davon nehmen wir ja auch wahr, dass sich über die Jahre hinweg auch solch eine Haltung finanziell auswirkt: Viele unserer „Fans“, die unseren Stuff kaufen und zu unseren Shows kommen, lesen unsere In­terviews, bekommen mit, was die Band so tut, schreiben uns und lassen uns wissen, dass sie uns neben der Musik ja gerade auch deshalb schätzen. Eine Band ist mehr als nur Musik! Sollen mir doch die gesichtslosen Reiß­brett­bands gestohlen bleiben. Das ist nicht meine Welt. Dass künstlerische Ar­beit dennoch auch monetär abgegolten werden muss, steht außer Frage. Wir sind da auch halbwegs streng bei den Gagenverhandlungen, wollen aber ent­sprechend den verschiedenen Möglichkeiten der Veranstalter immer fair sein und Geld nicht zum Ausschließungskriterium machen. Im Gegen­zug er­warten wir uns diese Fairness auch von un­serem Gegenüber. Dass wir alle im sogenannten Kunstsektor noch immer eine gewisse Fairness ver­missen müssen und die Hochkultur – die ja nur von einer kleinen Elite genossen werden kann – in Relation zum großen Rest stets kriminell viel öffentliches Geld einstreift, ist eine andere Sache.

Anatol, deine quasi soziokulturelle Heimat ist die KAPU. Wie sehr bist du dem Haus noch verbunden?
AB: Ich hab zu einem Zeitpunkt aufgehört, wo ich noch jeden Tag gerne „in die KAPU-Arbeit“ ge­gangen bin, wollte aber tatsächlich nicht nur am Hö­he­punkt aufhören, sondern vor allem auch den Weg aktiv freimachen für neue Köpfe und Ge­danken. Und mich auch selbst weiterbewegen, ich be­schäf­tige mich neben Valina nun hauptsächlich mit Film und Video. Na­tür­lich zähle ich mich noch immer zur „KAPU-Familie“ und halte diesen Ort nach wie vor für einen Hort der gesunden Dissidenz und für eine wichtige kreative Plattform in Linz.

Valina „a tempo! a tempo!“ Record-Release-Show, 08. März, 22.00h, Stadtwerkstatt
www.trost.at/valina

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03/08
FotoautorInnen: 
C. Nickl

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