Wider der Tyrannei der Norm!

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Die Ausstellung „Störenfriede“ im Lentos Kunstmuseum Linz räumt Künstlerinnen der Wiener Moderne eine Stimme ein. Ob und wie konnten sich aber diese Frauen – den damals herrschenden Geschlechterstereotypen zum Trotz – zu Lebzeiten Gehör verschaffen? Über den geschlechts­spezifischen Zeitgeist des Fin-du-siècle.

Dieser Leitspruch der Wiener Frauenrechtlerin, Malerin und Schriftstellerin Rosa Mayreder steht exemplarisch für die vielfältigen Freiheitsbe­stre­bun­gen sozial und kulturell engagierter, bürgerlicher Frauen gegen das ihnen auf­er­legte normative Korsett in der Epoche um die „anstößige“ Wiener Moder­ne. Während männliche Vertreter der bildenden Künste versuchten, die Ver­änderungen ihrer Lebenswelt durch Technologisierung und Industria­lisie­rung künstlerisch zu verarbeiten (sei es verklärt-erotisierend in die Antike gerichtet wie Gustav Klimt oder puristisch zukunftsorientiert wie Adolf Loos), witterten Frauen ihre Chance, gesellschaftliche Selbstständigkeit und da­mit einhergehende kreative Ausdrucksmöglichkeiten zu erlangen. So wurden sie in der fundamentalen Krise des Subjekts zu Trägerinnen der Verän­de­rung.
„Der Allgemeine Österreichische Frauenverein“ war dabei das Sammel­bec­ken all jener Frauen, die sich fortschrittlich nannten. Dazu Gründungs­mit­glied Auguste Fickert: „Als man im Jahre 1889 den steuerzahlenden, selbständigen Frauen in Niederösterreich auch das Gemeindewahlrecht entziehen wollte, nachdem ihnen ein Jahr vorher das Wahlrecht in den Landtag genommen worden war, organisierten einige Lehrerinnen der damaligen Vor­orte von Wien eine Protestkundgebung, die von Erfolg begleitet war. Aus die­ser Stimmrechtsbewegung ging die Gründung des Allgemeinen österreichischen Frauenvereines hervor, welcher die Frauenfrage in ihrem vollen Um­fange erfasste und propagierte.“ Reformen des Ehe- und Familienrechtes, des androzentrischen Schulsystems, die Unentgeltlichkeit des Unterrichts und die Zulassung der Frauen zum Hochschulstudium standen ebenfalls auf der Agenda. In der Zeitschrift „Dokumente der Frau“ (1899-1903) setzte sich unter anderem die glühende Rhetorikerin Marie Lang radikal in Fragen des Mutterschutzes, der rechtlichen Stellung des unehelichen Kindes, gegen die Reglementierung der Prostitution und des Lehrerinnen-Zölibats ein.
Diesen emanzipatorischen Forderungen wurden jedoch „wissenschaftliche“ Ab­lehnungsgründe von Seiten der Traditionalisten entgegengesetzt.

Geschlecht und Charakter
Am Internationalen Frauenkongress in London schilderte Marianne Hai­nisch, auf die der österreichische Muttertag zurückgeht, rückblickend die siebziger Jahre des 19. Jahrhunderts, die nicht zuletzt von dem von Theodor L. W. Bi­schoff lancierten „Hirnbeweis“ geprägt waren: „Man sprach damals mit Vor­liebe von dem Hindernis, welches das geringere Gewicht des Frauen­hirnes biete, man sprach auch von den Gefahren, für die Familie und die Gesell­schaft, und machte ästhetische Gründe gegen das Frauenstudium geltend. An­dererseits waren die meisten Frauen teils aus Weltfremdheit, teils weil sie es sich mit den Männern nicht verderben wollten, teils weil sie erkannten, dass ihre Emanzipation ihnen viele Pflichten auferlegen würde, der neu­­en Bewegung abhold.“ Noch 1903 schlug Otto Weininger mit seiner Dis­ser­ta­tion „Geschlecht und Charakter“, die bis 1922 24-mal neu aufgelegt wurde, in die gleiche biologisierende Kerbe. Er leitete die „Minderwertigkeit des Wei­­bes“ durch den „natürlichen“ sexuellen Charakter ab, der sowohl in den Ge­schlechtsorganen als auch in der Funktionsweise des Geistes seinen Nieder­schlag finde. „W ist nichts als Sexualität. M ist sexuell und noch etwas darüber hinaus.“ Daraus resultiere, dass M bewusst, W unbewusst lebe und da­her unfähig für Logik, Ethik, oder „irgendeine Form der Genialität“ sei.
Rosa Mayreders trockener Kommentar zu Weiningers Misogynie, dass das Weib „seelenlos“ sei, „kein Ich, keine Individualität, keine Persönlichkeit und keine Freiheit, keinen Charakter und keinen Willen“ habe: „Geschlecht und Charakter erhebt wider Willen den Phallus zum Träger der Seele“.
Dieser verkürzten, sexualisierenden Sichtweise der Frau, die sich im männlichen Angstbild der Femme Fatale essentialisierte, stand die romantische Rol­le der Femme Fragile gegenüber, der zärtlichen, zierlichen, unter keinen Umständen aufmüpfigen Hausfrau und Mutter, gegen die sich nicht nur die „entartete“ Rosa Mayreder zu Wehr setzte.

„Der Mann an und für sich ist kein annehmbares Beispiel.“
Wie auch Mayreder weigerte sich Helene von Druskowitz, der ersten, in Zü­rich promovierten Philosophin in Österreich, ihren Intellekt und ihre Per­sön­lichkeit auf das Stadium „ausgestopfter Puppen“ festlegen zu lassen und für den Heiratsmarkt ausgestattet zu werden. Ein nomadenhaftes Dasein in der Schweiz, Deutschland und Österreich führend, stand sie in regem, kontroversiellem Briefkontakt mit Nietzsche und Eugen Dühring.
Ihre gelebte Frauenliebe wurde dabei aber nicht nur von ihren feministischen Mitstreiterinnen misstrauisch beäugt, sondern war wohl auch der Grund ih­rer Internierung in verschiedenen psychiatrischen Anstalten, wo sie 17 Jah­re bis zu ihrem Tod ausharrte. Dort schrieb sie unter anderem ihre umstrittenen, 1905 erschienenen, „Pessimistischen Kardinalssätze“, in de­nen sie den Mann als „das schnatterhafteste aller Wesen“ ausmachte. „Es fehlt sehr auffallend an der Partizipierung der Frauen in den täglichen Geschäften und in den öffentlichen Dingen, weshalb die Welt- und Tagesgeschichte, weil hauptsächlich von Männer ausgefüllt, den bekannten öden Eindruck ma­chen. Die gesamte Historie ist, mit geringen Ausnahmen, einfach Männer­ge­schichte und deshalb roh bis zum Äußersten und ein schlechtes Vorbild.“

Vom Puder zum Pastell
Sich in die Geschichte einzuschreiben bzw. eine eigene weibliche Kunst­ge­schichte zu rekonstruieren, versuchte die Ausstellung „Die Kunst der Frau“, 1910. Die Kritiker fassten den künstlerischen Emanzipationsversuch der „Ver­einigung bildender Künstlerinnen Österreichs“, der aufgrund des Aus­schlus­ses von Frauen aus bestehenden großen Künstlervereinen und der da­mit ver­bundenen mangelnden Präsenz am Kunstmarkt gegründet wurde, jedoch nicht als Panorama des individuellen weiblichen Kunstschaffens seit dem 16. Jahrhundert auf, sondern zielten in ihren Besprechungen vielmehr darauf ab, die Gattung der „weiblichen Kunst“ herauszudestillieren und statisch festzuschreiben. Dies stand im starken Kontrast zur Perma­nenz und Zu­kunfts­orientiertheit des Diskurses um die (männliche) Moder­ne. „Während Frau­en gemäß der Qualität ihrer Arbeiten in den von ihnen ge­wählten Gat­tun­gen gemessen wurden, präsentierte die Kunstkritik die Meis­ter der Seces­sion als heroische Individuen in der Teleologie der Mo­der­ne“, weist die Kul­tur­wissenschafterin Julie Marie Johnson auf die Diskre­panz vergeschlechtlichter Wahrnehmung hin.
Die Gattung der Porträts schien dabei die Essenz der weiblichen Ästhetik. Auf den mimetischen Aspekt des Porträtierens rekurrierend, gingen die Kunstkritiker davon aus, dass Frauen unfähig seien, originelle Kunstwerke zu schaffen, da sie nur die Gaben des Kopierens und der Ornamentation be­saßen. Als Muse und Modell traditionell auf eine eher passive Rolle in der Kunst reduziert, sei die Frau nur in der Schmin­ke, Mode, Illusion und Täu­schung eine echte Künst­lerin. „Es sind viele Damenporträts in der Aus­stel­­lung der Frau zu sehen, und das darf nicht wundernehmen. Denn eigentlich ist es der Beruf der Weiblichkeit, sich selbst in Szene zu setzen und darzustellen.“ Im Gegenteil zu einem Oscar Koko­schka, der als „Seher und psy­cho­logischer Vivi­sek­tionist“ heroisiert wurde, wurde den Künst­ler­innen auferlegt, unfähig zu sein, hinter die Fassa­de einer Person zu blicken – in ihrem Nar­zissmus immer „das Bildnis ihres eigenen Selbst auf das eigentliche Subjekt zu richten, gleich ob es sich um ein Porträt der heiligen Jungfrau oder das einer modischen Dame handle“ (Johnson). „Die Frauen haben eine Freude da­ran, sich in Rollen malen zu können, die sie im Leben nicht spielen dürfen, die Farbe wird zum Schminktiegel“, konstatierte der Kritiker Paul Zif­fe­rer. Und die Re­flexion der weiblichen Selbstinszenierung in der Kunst führte seinen Kollegen Friedrich Pollak gar in das Zeitalter des Rokoko zurück. Als Frauen in dieser Epoche das Schminken lernten, übertrugen sie diese Technik auf die Pastellmalerei, denn „vom Puder zum Pastell war es nur ein kleiner Schritt.“
Die retrospektive internationale Ausstellung schei­­terte mit dem Wunsch ih­rer Veranstal­ter­in­nen, durch die Vereinnahmung großer Meisterinnen Le­gi­ti­ma­tion für ihr eigenes Werk zu schaffen, an den weiblichen Rollenklischees ihrer Zeit.
Viele weibliche Kunstschaffende ließen sich da­von aber nicht entmutigen – dafür hatten sie schon zuviel von der Welt gesehen.

Bist du glücklich, Ebenbild Gottes?
Helene Funke, die sich erst 30jährig von ihrer gutbürgerlichen Familie lös­te, um in München die Damenakademie zu besuchen, hatte schon ein be­weg­tes Leben hinter sich, als sie sich 1913 in Wien niederließ. Ab 1905 in Paris und Südfrank­reich von den Fauvisten (Matisse, Braques, Vlam­nick) inspiriert, hatte sie sich künstlerisch und gesellschaftlich in den Kreisen der Avant­gard­is­ten rund um Gertrude und Leo Stein bewegt und neues Terrain für sich entdeckt. Zuerst mit zaghaften, einfachen Bleistiftzeichnungen konnte sie sich einem für Malerinnen in Deutschland da­mals noch großen Tabu widmen: Der Akt-Zeich­nung. Das von den Fauvisten intensiv studierte Thema der weiblichen Nacktheit, bannte sie unerotisch und unidealisiert auf die Leinwand. „Fun­ke wandelt ein traditionell ausschließlich von der männlichen Moderne besetztes Thema auf eine Art um, die den voyeuristischen, männlichen Zu­griff erschwert“, so Funke-Expertin Tamara Loit­fellner im Standard-Interview. Vielfach porträtier­te Funke in ihren Akten Prostituierte, die sich in Erwartung ihrer Kundschaft völlig teilnahmslos geben. Sie erscheinen bei ihr „wie Sinnbilder der Frau um 1900 und deren durch das Patriarchat vor­bestimmte Lebensbahn“, analysiert Loitfellner das frauenrechtliche Bewusstsein Helene Fun­kes. Nicht verwunderlich ist es daher, dass sich die Ma­lerin in Wien der „Vereinigung bildender Künst­lerinnen Österreichs“ und anderen emanzipatorischen Gruppen anschloss. Genauso wenig er­staun­lich sind – vor dem Hintergrund der misogynen Einstellung vieler Kunstkritiker – auch die Reak­tionen auf ihren in Wien neu entdeckten expressionistischen Stil. Die „von Frauenhand mit der Spachtel maurermäßig derb hingestrichenen Bil­der“ waren Arthur Roessler ein „Greuel“. Der Kri­tiker Seligmann bezeichnete ihre Bilder als „Van­goghiade“.
Mindestens so entsetzt reagierte die Kunstwelt auf die Skulpturen der russischen Bildhauerin Te­resa Feodorowna Ries. Hatte ihre „Hexe, Toi­lette machend zur Walpurgisnacht“ schon einen Eklat ausgelöst, fühlte sich die männliche Kriti­ker­riege 1897 von ihrer Skulptur „Luzifer“ persön­lich angegriffen. Obwohl ihre Statue mit der für NiederösterreicherInnen ranghöchsten „Karl Lud­wig Medaille“ ausgezeichnet wurde, rief ihr – den Kopf nachdenklich auf die geballten Fäusten ge­stützt, mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem Stein sitzende – Luzifer bei so manchem Betrachter Ekel hervor: „Je länger man vor diesem Luzifer sitzt, desto ekeliger wird Einem. Das ist allerdings auch eine Wirkung.“ Assoziationen mit Rodins „Denker“ blieben nicht aus und wurden mit dem am Sockel eingravierten Spruch, „Bist du glücklich, Ebenbild Gottes?“, irritierend hinterfragt. Nicht auszuschließen, dass das Illustrierte Wiener Extrablatt diese Provokation zum Anlass nahm, über die neue Emanzipation der Frau zu monieren: „Sagt mir, Ihr Weiberkenner/Ist das der Fortschritt der Frauen,/Das schwache Geschlecht der Männer/zu kneten und zu haun?“
Vielleicht war Rosa Mayreders Erkenntnis aus 1905 ja an beide Streitparteien gerichtet: „Die bei­den Geschlechter stehen in einer zu engen Ver­bindung, sind voneinander zu abhängig, als dass Zustände, die das eine treffen, das andere nicht berühren sollten“. Dieses Zitat zierte neben May­reders Porträt die letzte herausgegebene 500 Schil­ling Banknote.

Störenfriede – Der Schrecken der Avantgarde von Makart bis Nitsch, Lentos Kunstmuseum Linz, noch bis 18. Mai 2008

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03/08
FotoautorInnen: 
tb

Teresa Feodorowna Ries, Die Hexe, 1895: „Wie kann man sich unterstehen, aus edlem Marmor eine so scheußliche Fratze zu machen“, so die männliche Kritik. Im Hintergrund Helene Funkes Drei Frauen von 1915.

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