Störenfriede über Linz

Unter dem Titel „Störenfriede – Der Schrecken der Avantgarde von Makart bis Nitsch“ entfaltet die zur Zeit gerade laufende Hauptausstellung im Kunstmuseum Lentos ein Panorama über österreichische Künstler, die zwischen dem ausgehenden 19. Jahrhundert und den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit ihren Werken einige ästhetische Provokationen oder gar Skandale hervor gerufen haben – unter dem sichtlichen Vorzeichen der Sentimentalität, dass so etwas heutzutage freilich nicht mehr so leicht möglich scheint.

Wir erinnern uns: Als Anfang der Neunziger Jahre, kurz nach dem Ende des Kalten Krieges, ein amerikanischer Politologe namens Francis Fukuyama in seinem gleichnamigen Wälzer das „Ende der Geschichte“ ausgerufen hat (er meinte damit den endgültigen Triumph der liberalen Marktwirtschaft und, was von seinen Gegnern gerne vergessen wird, der Demokratie) als Erfül­lung eines allgemeinen menschheits- und zivilisationsgeschichtlichen Prin­zips (und in der Konsequenz die Verlagerung von utopischen Horizonten in die Vervollkommnung der Gegenwart), war die Heiterkeit groß, der Hohn und Spott enorm, und die Versuche, die Fukuyamaschen Proklamationen lächerlich zu machen und in ihrer Unbedarftheit zu entlarven, groß angelegt. Derrida schrieb sogar ein ganzes Buch darüber („Marx’ Gespenster“ hieß es). Doch, wie ein gutes Jahrzehnt später Slavoj Zizek fragen sollte: Ha­ben sich als die eigentlich komischen Figuren denn nicht vielmehr die (linken) Kritiker Fukuymas erwiesen, die es besser zu wissen glaubten als der konservative Amerikaner? Umreißt, von versprengten Leninisten abgesehen, das Paradigma der liberalen Marktwirtschaft und der westlichen De­mokratie, respektive des Suchens der Zukunft in der Gegenwart, heutzutage denn nicht auch die intellektuellen Horizonte der Linken und der Welt­ver­besserer? Nun ja, schon, oder etwa nicht? Nein doch! Zumindest. Irgend­wie. Groß angelegte Utopien und halbwegs konkretisierbare Visionen von einer qualitativ verschiedenen und noch dazu besseren Welt scheinen et­was zu sein, was sich überlebt hat.

Mal utopischere, mal weniger utopische; mal progressivere, mal reaktionärere Fortschrittsgedanken und -sehnsüchte sind ein Kennzeichen und ein Begleiter der modernen, bürgerlichen Gesellschaft, wenngleich sie im Guten wie im Schlechten schon mal bessere Zeiten gesehen zu haben scheinen als eben heute. In den Strömungen der ursprünglichen Avantgardekunst – Ex­pres­sionismus, Dadaismus, Futurismus, Surrealismus, Suprematismus, Kons­truktivismus etc. – kommt die komplexe und vielfältige Gemengelage an un­ter­schiedlichen Visionen der Transzendenz der Gegenwart zum Ausdruck.
Aus heutiger Sicht gesehen scheint das vergleichsweise rein und naiv. Durch die Erfahrung des Totalitarismus und des Zweiten Weltkrieges kommt es in der Kunst (und der Realität) zu einer Zäsur der „Zweiten Mo­derne“, und zu einer Neudefinition dessen, was avantgardistische Kunst ver­mag. Unter der erlebten Realität ihrer totalitaristischen Verein­nah­mungs­potenziale fällt die Zeit der Utopien und der geschlossenen Systeme, wie auch der naiven und unreflektierten Ideale, schleichend der Vergangenheit anheim. Gerade in ihrem Aufflackern in der 68er-Generation deutet sich eine fundamentale Änderung in den Koordinaten des Gesellschaftlichen hin zu einer liberalen, von den Lasten des Vergangenen und Traditionellen mentalitätsmäßig befreiten Massengesellschaft an, unter deren Dunstglocke sich von rechter, linker sowie allgemeiner Seite zwar Unbehagen ausbreiten, in der – von der Deckung spiritueller Bedürfnisse vielleicht abgesehen – die wesentlichen Probleme des Menschen aber gelöst erscheinen. Narrative wie „Konsumhedonismus“, „Werteverfall“, „Neoliberalismus“, „Entsolidarisie­rung“ und dergleichen mehr lassen sich jedoch kaum zu Transzendenzphantasien bündeln und scheinen in ihrer Stoßrichtung im Übrigen eher auf die Be­schwö­rung von, aus heutiger Sicht übersichtlicheren, Vergangenheiten ausgerichtet.
Ab dem abstrakten Expressionismus gibt die avantgardistische Kunst den nicht allein künstlerisch, sondern politisch gefassten Anspruch, bessere „Ge­genwelten“ sowie entrückte Sphären der „Befreiung“ zu errichten, auf. Sie ver­zichtet auf die Formulierung holistischer, allumfassender Narrative und Perspektiven, und bewegt sich eher über das Stilmittel der Subversion des Bestehenden weiter, oftmals natürlich unter der betrüblichen Aussicht, dass durch die Wandlungsfähigkeit des Bestehenden die Subversion sich subversiv unterlaufen wieder findet. Mit dem zunehmenden Wohlstand und der Vervollkommnung der Reproduktionstechniken wuchs auch der Bedarf an Kunstwerken und der Kunstkonsum, der Kreis der Kunstkonsumenten wurde größer und erweiterte sich in anonymerer Weise, als es beim traditionellen Mäzenatentum der Fall war, auf die Wirtschaft und selbst auf Investorengruppen, die in Kunstwerke investieren, wenn die Aktienkurse vor sich dahin tümpeln. Zum größten Förderer der Kunst steigt die Re­gie­rung auf, die sich selten davor scheut, den Wunsch zu artikulieren, dass Kunst ruhig „kritisch“ sein dürfe. Zuletzt, die Möglichkeiten für Künstler, mit einigen komisch gezeichneten Figuren „Skandale“ zu provozieren und Schockwirkungen hervorzurufen, haben sich aus nahe liegenden Gründen erheblich verringert: Die Mission, durch avantgardistische Mittel die Ge­schmacks- und Toleranzgrenzen des Publikums zu erweitern, ist, so gesehen, geglückt und hat gewirkt.
Zum mentalen und ideologischen Problem avantgardistischer Kunstpro­duk­tion scheint eher die Frage der Aufrechterhaltung singulärer künstlerischer Energie vor dem Hintergrund ständig lauernder warmherziger und überhaupt nicht böse gemeinter Umarmungsversuche durch die Apparate der Macht, des Geldes oder des Banalen, aufzurücken (auch ein altes Thema im Übrigen, freilich).

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Das Lentos Kunstmuseum begibt sich mit der Ausstellung „Störenfriede – Der Schrecken der Avantgarde von Makart bis Nitsch“ auf eine Spu­ren­su­che des künstlerisch Provokanten in eine Zeit, die nicht die unsere ist. Ge­zeigt werden Werke von Hans Makart, Gustav Klimt, Egon Schiele, Oskar Ko­koschka, Hermann Nitsch, Robert Schwarzkogler, Günther Brus, wie auch weniger bekannter KünstlerInnen wie Helene Taussig oder Helene Fun­ke. Diese Störenfriede spalteten zu Lebzeiten das Publikum in An­hän­ger und Gegner, und riefen unter letzteren teilweise heftige Reaktionen der Ablehnung hervor, die im Rahmen der Ausstellung zusätzlich zu den Kunst­werken gezeigt werden. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass eine Sehnsucht nach der guten alten Zeit, in der man als Kunstschaffender noch so richtig reinhauen konnte, innerhalb des Ausstellungskonzeptes stark mitschwingt, bzw. in der Rezeption mit dieser Sehnsucht des Publi­kums spekuliert wird. Sinnigerweise ist der Zeitraum, den die Ausstellung abdeckt, mit den 1960er Jahren nach oben abgegrenzt. Nachher scheint das mit der Provokation innerhalb einer pluralistischen Massengesellschaft, di­versen abgefeimten Geschmäckern, Regierungen, die die Kunst zur Gesell­schaftskritik ermutigen und dem Umstand, dass die Meinungsmacher von heu­te, in ganz umgekehrtem Verhältnis zu früher, unter dem Titel Kunst auch so manch größeren Scheißdreck zu loben gewillt sind, vor allem, wenn sie im Zusammenhang mit staatlichen Prestigeprojekten einhergeht, oder all­gemein Gelder dranhängen, nicht mehr so einfach möglich zu sein. Oder vielleicht doch?

Ans Ende soll nun die Erwägung gestellt werden, wie viel von der Attitüde des Provozieren-Wollens übrig bleibt, wenn sich der Provokationseffekt tatsächlich einstellt, und zwar in Echt: Mit Beleidigungen, Schmähungen, Ver­un­glimpfungen, Verleumdungen, bösen Briefen und Anrufen, und der Kon­fron­tation mit maßloser Dummheit. Zumindest ich denke, als Künstler wie als Mensch, geht man leichter ohne dergleichen durchs Leben. Beispiele da­von sind aber auch in der Gegenwart zu entdecken: Wenn man als Künstler oder Kunstschaffender heutzutage tatsächlich provoziert, so fällt es sicherlich nicht allzu schwer, wenn man die heiligen Hallen der Ausstel­lungs­räu­me und eines engeren Kunstkontextes verlässt, sich in einen weiter gefassten öffentlichen Raum begibt oder diesen in ein Museum holt, das ein tatsächliches, zeitgenössisches öffentliches Publikum ansprechen will. Mit der Konsequenz freilich, dass der künstlerische wie intellektuelle Gehalt einer her­kömmlich aufgefassten Provokation darunter möglicherweise schwer in Mitleidenschaft gezogen wird – oder ein weiter gefasstes öffentliches Pub­likum für solch eine Kunst schlichtweg nicht immer empfänglich ist.

Und für ein Kunstmuseum ist es übrigens ein Leichtes, „Skandale“ hervorzurufen, und die Finanziers zu provozieren, wenn man zu wenig auf „Event­kultur“ und Besucherzahlen macht.
 

Aktuelle Ausstellungen im Lentos:
EVA & ADELE, Rot – Neue Malerei und Zeichnung

Alle Welt kennt EVA & ADELE, das extravagante Berliner Künstlerpaar, das seit mehr als 15 Jahren mit seinen Performances den Großereignissen der internationalen Kunstwelt ein unübersehbares, funkelndes Glanzlicht aufsetzt. Für ihre Einzelausstellung im Lentos Kunst­museum Linz haben EVA & ADELE eine Präsentation konzipiert, in der das bildnerische Werk in einem umfassenden Überblick von einer Großskulptur, einer Serie an Bild­tafel-Objekten, etwa 25 Gemälden und mehreren Hundert Zeichnungen dargestellt wird.
Mit dem Goldenen Manifest etwa wird die konzeptionelle Haltung der Künstlerinnen materialisiert: Die Slogans „Coming out of the future“, „Where ever we are is museum“ und „Over the boundaries of gender“ sind als blattvergoldete Tafeln gestaltet.
Die zentrale Werkgruppe der Ausstellung, Transformer-Performer zeigt mit großformatigen Malereien kraftvolle Bildgestaltungen, die ihre intensive Wirkung durch komplexe Schich­tun­gen und Durchdringungen, intensive Farben, Collage-Elemente und emblematische Su­jets erzielen: Tiere, Fabelwesen, geflügelte Gestalten, Frauen in fetischisierten Kleidungs­stücken, männliche Geschlechtsteile, bezaubernde Objekte und immer wieder sie selbst. Die Medialisierung und das Abbild von EVA & ADELE ist dabei inhaltliche Basis und Gerüst für die Malerei, für malerische Fragestellungen. Wie die Gestaltung ihres Selbst, ihres Le­bens und ihrer äußeren Erscheinung beruht auch das bildnerische Werk von EVA & ADELE auf einer künstlerischen Strategie der Bildfindung, mit der in aller Konsequenz gesellschaftliche Fragen diskutiert werden – jenseits von Erwartungen und Konventionen.
Die Präsentation von EVA & ADELE wurde als Doppelausstellung konzipiert. Gleichzeitig zur Präsentation in Linz zeigt das Museum der Moderne Rupertinum Salzburg die Aus­stel­lung EVA & ADELE Rosa – frühe Fotografie und Video (16. März - 8. Juni 2008).

15. März - 01. Juni, Eröffnung: 14. März, 19.00 h

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03/08
FotoautorInnen: 
tb

Videobild aus: Kunst und Revolution, Filmdokumentation von Ernst Schmidt jr. Die 1968er-Aktion „Uni-Ferkelei“ führte zu einem Schwurgerichtsprozess.

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