Grün nicht Grau

In Wirklichkeit ist’s natürlich Türkis. Aber in Wahrheit handelt es sich um das Raiffeisen Grün. Das ist nicht so unwichtig, weil es bei diesem Gebäude stark zur Erscheinung beiträgt. Ursprünglich als Solitär geplant, ist das Zentralgebäude der Raiffeisenkassa nun Teil eines ganzen Komplexes und als Überbleibsel vergangener städtebaulicher Planungen zu lesen. Teil 5 der Serie „Hässliche Entlein – Architektur der 60er und 70er Jahre in Linz“.

Solitär und Umgebung
Das Raiffeisenkassagebäude kann heute als Relikt der damals aktuellen Städ­tebauplanung für dieses Gebiet gelesen werden. Der Bau sollte als städtebauliche Dominante den Südbahnhofplatz abschließen. Die Straße war ge­plant am Kopf des Gebäudes vorbeizuführen.
Der St. Barbara Friedhof sollte durchstochen werden, um eine geradlinige Ver­bindung zum Bulgariplatz zu schaffen. Jeder Stadtplan lässt diese wohl in der Geschichte ursprünglich gedachte Verbindung erkennen. Trotz der Här­te solch eines Eingriffs, hätte das der Gegend wohl gut getan und die für Linz auf der ganzen Länge der Bahntrasse sehr problematische Trennung durch die Westbahn an dieser Stelle eventuell etwas gelindert.
Zusätzlich war damals geplant, den ganzen Bereich südlich des Hauptge­bäu­­des unberührt zu lassen und einen Grünstreifen zu schaffen. Diese städtebaulichen Parameter im „Mikrobereich“ haben in Wirklichkeit zur Form und zum Volumen des Hauptgebäudes geführt: Großzügige Terrassierung und Bepflanzung nach Süden zu und einem gedachten Naturraum hin (jetzt In­nenhof) und ein zeichenhaft und turmartiger Abschluss zur Straße bzw. dem Südbahnhof.
Demzufolge war das jetzige Hauptgebäude natürlich nicht als Teil einer mitt­lerweile drei Bauphasen umfassenden Geschichte gedacht und absolut nicht konzipiert für Zubauten.
Im Laufe der Erweiterungen wurde versucht, dieser Schwierigkeit mit der rie­sigen Empfangshalle entgegenzusteuern. Als formale Brücke will diese in der Mitte jeweils Teile der drei Gebäude mit einschließen.
Zu meinem großen Bedauern geben sich die zwei Freiflächen und die Halle öf­fentlicher, als sie sind. Sie sind schwer überwachte Bereiche, in denen schic­ke Kunstwerke urbanes Flair suggerieren, tatsächlich aber nur Deko­ra­tion und konservative Neuinterpretationen von Skulpturen sind. Die Chan­­ce nach einer wirklich dringenden Verbindung/Durchlässigkeit für Fußgän­ger oder Radfahrer von Süden nach Norden ist dort gleich zweimal verabsäumt worden. Einmal an der Grenze zum Nachbargrundstück, wo sich die Tiefgarageneinfahrt befindet und ein zweites Mal direkt zwischen den Bau­werken – eben der Halle – hindurch. Die Kunst, der Raum, die Stadt und nicht zuletzt die Bank, hätten gewonnen. Die Namensgebung aber deutet eh schon auf privat hin: Raiffeisenplatz.

Einen sehr guten Überblick über diese Zusammenhänge gibt es im Internet auf google map. Am besten in ca. 5000 km Erdumlaufbahn beginnen, dann zielsicher auf Europa zusteuern, Kurs auf Österreich und Linz halten, kurz bremsen, neu orientieren, Bahnhof spoten, dann etwas ostwärts Gas ge­ben ... schon schweben wir lässig über dem Zielgebiet und können abwechselnd zwischen Luftaufnahme und Karte switchen. Nur schade, dass das Ganze immer noch recht unscharf (ich hoffe auf 2009) und vor allem nicht live ist!

45 Jahre alt
In diesem Alter werden andere Häuser schon wieder weggerissen. Hier aber garantiert offensichtlich rundum hohe Qualität in Entwurf und Ausführung für Wertschätzung und Langlebigkeit. Der damals radikal moderne Ent­wurf steht trotz 45 Jahren in jugendlicher Frische da.

Der Verwaltungsbau strahlt etwas von Science Fiction aus. Er gewinnt eine gewisse Spannung aus dem Widerspruch einer Formensprache, die eher in die Betonarchitektur (des Brutalismus) einzugliedern wäre und einer Ober­fläche aus färbig beschichtetem Blech, die dem ganzen Volumen wiederum eine sehr feine und glatte Charakteristik verpasst.
So gesehen befindet sich die Zentralkassa genau zwischen Brutalismus und dem in den 1960er und 1970er Jahren vorherrschenden Bauen mit Fertig­tei­len. Der Brutalismus hatte seine Blütezeit in den 60er Jahren (er löste die internationale Moderne der Nachkriegszeit ab) und war geprägt durch sei­ne Tendenz einer plastisch-körperhaften, „konstruktionsehrlichen“, zum Teil ruppig-charmanten Architektur. Hier ein Kompliment an den Eigentümer, die Pflege des Gebäudes betreffend. Das Bauwerk wird offensichtlich ge­schätzt und trotz seines Alters sieht es von außen nicht nur formal, sondern auch im Detail sehr gut aus. Architekt Franz Treml weist diesbezüglich in einem Gespräch auf die damalig außerordentlich gewissenhafte Arbeit der Beschichter hin. Die Südseite hat durch die Sonnenbestrahlung offensichtlich stärker gelitten als die Nordseite. Einzelne Blechelemente sind schon sehr ausgebleicht, was erstaunlicherweise trotzdem gut aussieht und mich an den so reizvoll matten und changierenden (Sonne-Schatten, nass-troc­ken) Farbton von alten Autos (oder Militärfahrzeugen, die in der Nacht nicht re­flektieren dürfen!) erinnert.
Durchaus skurriles und verräterisches Detail der 1970er Jahre ist der übrig gebliebene Hubschrauberlandeplatz am Dach. In Europa (im Gegensatz zu Sao Paulo in Brasilien, das die weltweit höchste private Hubschrauberflotte vorzuweisen hat) entspricht das nicht mehr ganz dem Selbstverständnis oder Auftreten privater Konzerne. Öffentlich vertretbar ist so etwas nur mehr für Krankenhäuser und Sicherheitskräfte. Laut Aussage des Portiers wurde dieser bis 1992 genutzt und auch dem benachbarten ORF und Kran­ken­häusern zur Verfügung gestellt.

Eine unvergleichlich „moderne Zeit“
Architekt Franz Treml beschreibt in einem Telefongespräch die Stimmung von damals „mit der außergewöhnlichen Chance etwas zu machen“. Gott­fried Nobl, Franz Treml und Erich Scheichl bekommen 1971 einen Direkt­auf­trag von der Bank und bilden für das Projekt eine Arbeitsgemeinschaft und ein eigenes Büro. Alle haben im Vorlauf schon für die Raika an kleine­ren Projekten gearbeitet. Zur gleichen Zeit entsteht in unmittelbarer Nach­barschaft das ORF Gebäude von Gustav Peichl, zwei Jahre zuvor wurde das Brucknerhaus von Kaija und Heikki Siren eröffnet. Sowohl Gottfried Nobl als auch Franz Treml sind unabhängig voneinander auch intensiv für die Diözese Linz tätig. Architekt Nobl, der insgesamt 50 Jahre lang Dom­bau­meis­ter war, hat zwei Jahre zuvor die bedingungslos moderne Pfarrkirche St. Leo­pold am Auberg fertig gestellt. Ein aus Backstein und Beton gefertigte Kir­che, die wie aus einer kreuzförmigen Strangpresse aus dem Boden ge­drückt scheint, vereint kathedralenartige Wirkung und menschlichen Maß­stab.

Neben den Architekten hat bei der Raika der Künstler Florian Schwarz für die Farbgestaltung verantwortlich gezeichnet. Eine fruchtbare Zusam­men­ar­beit von Beginn an, die sich nicht – wie dann auch später bei den Zubau­ten gut zu erkennen – als Kunst am Bau definieren muss, sondern von An­fang an eine Wechselwirkung schafft: Dieses dunkle, satte und ruhige Grün ist eins mit dem körperhaften Bauwerk und spielt gelungen mit den so launischen und spiegelnden Glasflächen zusammen.
Die architektonische Qualität der Anbauten kann leider mit dem ersten Ge­bäude keinesfalls mithalten. Die 2. Bauphase wurde schon mit Architekt Wolf­gang Kaufmann (oder noch mit Nobl und Treml und Scheichl) und die 3. Bauphase nur mit Wolfgang Kaufmann realisiert.
Es sind dies 08/15 Bauten, wie sie überall auf der ganzen Welt stehen. Ich kann außer einer oberflächlichen Fassadengestaltung, die sich des üblichen Repertoires bedient, keine architektonische, geschweige denn städtebauliche Ambition erkennen.

Friedrich Achleitner weist in seinem Anfang der 80er Jahre publizierten At­las für österreichische Architektur des 20. Jahrhunderts darauf hin, dass es von den Ideen Friedrich Wilhelm Raiffeisens, des Begründers der „Hilfs­or­ga­nisationen für unbemittelte Landwirte“, bis zur Selbstdarstellung der Bank­institute im dörflichen und städtischen Raum in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts, ein langer Weg gewesen sei. Und er entdeckt einen in­teressanten formalen Ursprung für die „Linzer Zentralkasse“. Seines Er­achtens bedient sie sich einer fast „popigen“ Verfremdung expressiver Groß­tadtarchitektur, wie sie in den zwanziger Jahren (Verherrlichung von Bewegung, Energie) entwickelt wurde. Dabei sieht Achleitner einen Neu­wert in der Art der Verkleidung der Stahlbetonstruktur als perfektionierte „Verpackung“, und merkt die besondere Lösung einer mehrgeschossigen Kassenhalle an.

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03/08
FotoautorInnen: 
Gregor Graf

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