Ich jongliere mit Partikelchen

Ein Gespräch mit Christian Steinbacher anlässlich seines neuen Buches: „Zwirbeln, was es hält.“

Ich hab mir aus Deinem neuen Buch „Zwirbeln, was es hält“ ein Gedicht ausgesucht …
… da bin ich jetzt aber gespannt, welches.

EIN FÜR UND FÜR
für Silvana

Manch Kiesel, umgesetzt den Topf, wofür
solch Raum, wo mich ein böser Bösewicht
– fehl denn die Tür? –
nicht ließ hinaufziehn in dies Licht,
das mir sodann so wollt erblühn,

wenn nicht verfolgt würd ich, nachdem
der, der das schrieb, erführ
davon, iwo, solch Leiter, Ton,
stimm schon, das geh,
steig auf, die Treppen stehn bereit und führn,

gleich mehrere, ganz hoch hinauf,
ins Sonnentau, aufschnappt die Tour, 's wird kühl, nur fühln
würd sicherer im Nass mich nun ich, drauf
sagt wer: He, schau, wir sind doch längst schon
durch durch diese Unterführung.

Die Widmung, an der hab ich mich festgehalten. Wel­chen Stellenwert haben Widmungen für Dich?
Diese Widmung ist „anlässlich“ entstanden. Ich hab einige Widmungen im Buch. Manche sind pri­vat, manche sind intertextuell, Hinweise an Leute, die man schätzt. Ich unterscheide da auch zwischen „für“ und „an“. Manche Widmungen sind Anrufungen, eine Bezugnahme, ohne dass der andere etwas weiß davon. Aber es ist schwierig mit Widmungen. Sie sind eigentlich nicht notwendig, sind eher eine persönliche Verstie­gen­heit, die den Leser nicht stören soll. Er sollte nicht genau da einhaken.

Ich war für diese Möglichkeit des Einhakens ehrlich gesagt sehr dankbar. Ich muss zugeben: mir fällt das Lesen Deiner Gedichte nicht leicht. Das „Für Silvana“ kommt mir aber entgegen wie eine Bestimmung, eröffnet eine Erwartungshaltung und ich suche dann im Gedicht nach Silvana, Dei­ner Frau. Das hab ich mir erlaubt.
Ich halte nichts davon, wenn ein Leser mein Gemeintes liest, davon hat er nichts. Im Grunde macht der Leser das Gedicht fertig, wie jeden Text.

Und ich darf mit dem Gedicht machen, was ich für richtig halte?
Ja, natürlich.

Gut. In diesem Sinn nehm ich mir jetzt die Wörter „Licht“ und „erblühn“ heraus. Das mag ich, das wird mir sofort zur schönen Vorstellung. Vieles in diesem Gedicht bleibt mir aber ein Rätsel, finde ich irritierend.
Gedichte bestehen immer aus Bild und Klang. Du liest auf der bildlichen Ebene und saugst Dir einzelne Wörter zu Bildern zusammen, die Du auf Dei­ne Weise gegenseitig andocken lässt. Das funk­tioniert manchmal und manchmal nicht, das ist klar.

Das Wort funktionieren würd ich gerne aufschnappen jetzt. Ich hab oft das Gefühl, dass ich, als Leser, bei Deinen Texten nicht funktioniere.
Ja. Weil doch mehrere Andockstellen überlappt sind.

Für mich sind die Bilder aber selten überlappt, ich sehe sie meistens nebeneinander.
Ein Bild spielt hier aber auch Redewendung, und da gibt’s dann doppelte und dreifache Böden. Dass die Bedeutungen der Wörter eindeutig sind, ist zu einfach. Wörter bedeuten mehreres. Etwa Homonyme wie Bank, um ein banales Beispiel zu nennen.

Bedeutungen von Wörtern sind doch auch eine Fra­ge der Übereinkunft, oder der jeweiligen Situa­tion, in der sie verwendet werden. Es geht also nicht ohne Kontext, oder?
Es besteht kein Wort ohne Kontext, sofern wir es begreifen wollen. Ein Wort ohne Kontext sagt gar nichts. Irgendwo muss das Wort hin, ohne Syntax gibt’s keine Dichtung. Erst im Zusammenspiel der Worte entsteht etwas, das man begreifen kann. Ich kann natürlich kess und zuzüglich zu dem Gemeinten ein Wort so in eine Stellung bringen, dass es eben nicht diese Eindeutigkeit hat.

Kunst zerlegt die Wirklichkeit und baut sie dann neu zusammen. Stimmt dieses Modell für dich?
Das ist eine Möglichkeit. Ich hab so auch schon gearbeitet. Ein gewisser analytischer Blick auf Spra­che ist schon notwendig, also Sprache analysieren und wieder zusammenführen. Die Analyse ist eine handwerkliche Notwendigkeit. Aber ich be­schränke mich auf diese Techniken nicht. Ich ha­be immer schon einen Schuss Gemeintes und Welthaltigkeit auch dabei gehabt, ich hab nie die pure Mechanik ausgestellt.

Gibt es bestimmte Autoren/Texte, auf die Du Dich berufst?
Ich verwende keine Prätexte, ich zitiere nicht. Es gibt Literatur, die aus anderen Texten entstanden ist, aber mich kümmert das nicht. Es ist mir auch wurst, von wo die Wörter herkommen, mit denen ich arbeite. Es ist sekundär für mich, ob ein Ge­danke von mir kommt, oder als Wortfetzen aus dem Radio oder als intertextueller Bezug zu einer anderen Literatur – es geht ja darum: was mach ich daraus? Dadurch, dass ich Zitate immer wieder überarbeite, würde ich nicht sagen, dass ich montiere. Vielmehr: es ist eine Fügung. Ich füge Worte zueinander. Es hat mit dem zu tun, was Josef Bauer in einem Interview vor kurzem im ORF-Landesstudio gesagt hat: „Begreifen macht Welt“. Ich sehe die Wörter haptisch in ihrer ganzen Ausstrahlung, und wenn ich Wörter zusam­men­füge, dann greife ich ja in diese Wörter hinein, rühre und stelle um und gebe sie der Welt neu zurück. Ein Wechselstrom.

Das Wort als Einheit, mit dem gearbeitet wird. Ist das Wort für dich die letzte Instanz, also so etwas wie die endgültige Bedeutungseinheit?
Nein, ich könnte auch Silbe sagen, oder Pho­nem.

Ich hab dieses eine Gedicht, EIN FÜR UND FÜR mehrmals gelesen.
Das sollte man auch. Man sollte jedes Gedicht mehr­mals lesen.

Ja. Beim ersten Lesen passiert bei mir nichts, es bleibt ein Nebeneinander der Wörter, der Bilder. Aber beim wiederholten Lesen ergeben sich Ver­knüpfungen von oben nach unten, schließlich kommt mir sogar die Reihenfolge der Sinnbilder nicht mehr gültig oder relevant vor. Ich nehme mir dann verschiedene Sachen aus dem Gedicht heraus. Bild mir ein, das Gedicht ist auch von hinten nach vorne lesbar. Ist das möglich?
Freilich, möglich ist alles, aber gedacht ist es nicht so. Wir können die Linearität ja nicht hin­ter­gehen, vor allem nicht, wenn ich die akustische Dimension dazugebe. Meine Gedichte kommen ja nicht von der stillen Seite, nicht vom Blatt Papier, sondern sie kommen von der Rede, da gibt es nur Linearität, da gibt es kein Zurück­hüp­fen hinter die Linearität. Insofern ist das ganze eine Textbewegung, und die kann ich nachvollziehen und nachvollziehen und wieder nachvollziehen. Es ist wie eine Linie. Und es gibt ja auch einen Zusammenhang des ganzen ersten Kapitels des Buches, in dem dieses Gedicht EIN FÜR UND FÜR steht. Das erste ist ziemlich offen, dann kommen Verfassungen, wo man ganz unten ist. Da heisst’s VOM KLEINEN, oder Gedichte, wo man fröhlich ist. Da kommen schon klassische Vari­an­ten von – apostrophiert – „Launen“ mit hinein.
Leichtfüßige Fleckchen sind das, die da entstanden sind. Aber alle diese Gedichte sind strikt metrisch gebaut, und bei EIN FÜR UND FÜR wird diese Metrik wieder aufgebrochen. Das sind Ge­gen­sätze, mit denen ich operiere.
Metrum heißt Starre. Metrum ist nicht Rhyth­mus. Das ist wesentlich. Gedichte arbeiten nicht nur mit Rhythmus, sondern auch mit Metrum. Du hast mit dem Metrum immer ein Gesetz gegen dich, mit dem Du operieren musst. Oder auch bei den Reimen. Das ist in dem Gedicht ein System des Anklingen-Lassens. Manchmal weit, manchmal fest, mehr oder weniger strikt. Manche Rei­me sind Bosheiten. Die Üs. Die Setzung der Üs im Gedicht EIN FÜR UND FÜR, diese beinah versteckten Reime, schwer sichtbar, aber die treiben das Ganze voran. Es geht nicht so sehr um Ord­nung denn um Bewegung. Das Aufbrechen der Starre.

In welchem Maß ist Kunst von der Wirklichkeit ab­hängig?
Es gibt nur Wirklichkeit. Auch Vorstellungen sind Wirklichkeit. Ich weiß schon, ich mach hier die diesseitige Variante des Weltnegierers. Es gibt ja auch Leute, die behaupten, es gibt nur die Vor­stel­lung. Aber das „nur“ ist eine komische Sache. Ich denke eben, es gibt nur Wirklichkeit. Aber das Wort Wirklichkeit ist natürlich wiederum nur eine Krücke, um Welt zu fassen und auch be-greifbar zu machen. Im Sinne von „wirklich“ an­greifen. Auf Wörter zugreifen.

Der Jazzmusiker Volkhard Iglseder sagt: Die Leute sollen bei meiner Musik nicht denken.
Es geht beim Gedicht nicht nur ums Denken, aber sehr wohl auch. Das Wort hat im Unterschied zum Ton die Krux, dass es auch bedeutet. Und ein Gedicht lebt eben nicht nur von seinen Bildern, sondern auch von seinem Klang.
Übrigens mag ich Jazz nicht, ich mag keine Im­pro­visationen. Improvisationen haben mit Den­ken nichts zu tun. Ich brauche Strukturen. Ich brauch diesen Widerstand Struktur – Nicht­struk­tur, Ordnung – Nichtordnung. Ein endloses Wech­sel­spiel. Und sobald die Ordnung zu dominant wird, muss die Unordnung wieder her und umgekehrt.
Ich will komponieren und erwarte mir auch als Le­ser oder Hörer, dass etwas komponiert ist. Ich brauch keine Impulse. Impulse gibt die ganze Welt, wenn ich aufmerksam bin, im Impuls ist kein Mehrwert drinnen, Impulse für sich sind Tau­tologien.
Ich muss vor allem erst einmal etwas komponieren, dass ein anderer aufnehmen kann. Man kann mit Kunst seine Sinne schärfen, sein Den­ken und auch den Genuss.

In diesem Sinne „funktioniert“ Kunst?
Natürlich. Das Lustprinzip ist durchaus eine Funk­­tion.

Du hast mir mal gesagt, es sei falsch, Deine Ge­dichte als Befreiung vom Sinn zu lesen. Darf ich das so verstehen, dass man sich lesend vom Sinn löst und dadurch entsteht ein neuer Sinn?
Sinn entsteht unentwegt. Wir müssen uns nur darauf konzentrieren. Aber in meinen Gedichten gibt es ja nicht so etwas wie einen „neuen“ Sinn. Keinen, auf den man sich festlegen könnte. Wir schaffen doch Welt unentwegt neu, durch jede Be­wegung, durch jeden Gedanken.
Wenn von etwas lösen, dann vom eindimensionalen Sinn. Und daraus entsteht dann ein mehrdimensionaler Sinn. Wenn eine Teekanne oben und unten offen ist, und ich will mir Tee kochen, ist die Teekanne sinnlos. Wenn ich mir aber gar keinen Tee mit dieser Kanne kochen will, dann kann eine solche Teekanne sehr sinnträchtig sein.
Der zweckfreie Raum birgt mehr Möglichkeiten zur Sinngebung. Die Leute machen sich verrückt, weil sie immer Sinn und Zweck kurzschließen. Das verhindert den Mehrwert an Sinn. In der Kunst gehen wir aus dem Zweck raus.
Ein Grundmovens, warum ich Texte produziere und auch veröffentliche, ist ja nicht nur der, ästhetisch wertvolle Dinge zu machen – es geht freilich auch darum – sondern zweckfreie Räu­me zu schaffen. Kunst ist immer zweckfrei. Und da­durch erst macht sie ein Mehr an Sinn.

Bei Musil ist zu lesen: der Dichter abstrahiert, der Leser konkretisiert das Abstrahierte.
Für Musil und seine Literatur mag das gelten. Er schreibt aus einer anderen Zeit heraus. Bei meinen Gedichten hab ich aber kein bestimmtes Welt­gegenüber, das ich abstrahieren muss. In mei­­nen Gedichten entsteht Welt ja zugleich mit. Das ist ein Wechselprozess, der im Überarbeiten ge­schieht, manchmal von einer persönlichen Sa­che ausgehen kann, von einer Stimmung, einer Lau­ne, von einem Ding gegenüber, von Worten. Aber ich ha­be keinen konkreten Punkt, von dem aus ich abs­trahiere. Jedes Gedicht hat einen an­deren An­satz­punkt. Ich habe nicht die eine Tech­nik, auch kei­ne Technik des Anfangs. Vielleicht macht das den Leser ein wenig närrisch, kann sein.

Wenn Du der Welt also nicht gegenüber stehst, sie nicht reflektierst, wie man es der Kunst sonst ger­ne nachsagt – ist es also so, dass Du mitten in der Welt stehst?
Nun, warum nicht: Ich stehe mitten in der Welt und jongliere mit Partikelchen.

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11/06
FotoautorInnen: 
Reinhard Winkler

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