Eine Oper als Todesverweigerung

Nach der Wannsee-Konferenz im Jänner 1942 wurde Theresienstadt zum „Altersghetto“ für alte und prominent geltende Juden erklärt. Es sollte als „Vorzeigelager“ von den Gräueln der „Endlösung“ ablenken. Im September 1942 wurde die Stelle des „Direktors für musikalische Freizeitgestaltung“ mit dem jüdischen Komponisten Viktor Ullmann besetzt. Die Oper „Der Kaiser von Atlantis“ wird nun am Landestheater gespielt.

Die Nationalsozialisten errichteten 1941 in der kleinen nordböhmischen Gar­­­ni­sonsstadt Terezín (Theresienstadt) ein Sammel- und Durchgangslager für jüdische Menschen aus Böhmen und Mähren, von denen viele sehr bald nach Auschwitz weitertransportiert wurden, um in den dortigen Gas­kam­mern ihr Leben lassen zu müssen. Nach der Wannsee-Konferenz im Jänner 1942 wur­­de Theresienstadt zum „Altersghetto“ für alte und prominent geltende Ju­den erklärt und sollte als „jüdische Mustersiedlung“ („Vorzei­gela­ger“) die Skepsis ausländischer Beobachter beschwichtigen und die Auf­merk­samkeit von den Gräueln der „Endlösung“ ablenken. Eine Täuschung, die sogar zeitweise gelang, in dem die Nazis den Juden im Konzen­trati­ons­la­ger There­sien­stadt eine Art von Selbstverwaltung gestatteten und ein hoch­karätiges Kul­tur­leben mit Konzerten, Theateraufführungen, Lesungen oder Ka­barettabende erlaubten. Im NS-Film über Theresienstadt „Der Führer schenkt den Juden eine Stadt“ wurden einige Musiker sogar für Propagan­da­zwecke „eingespannt“. Hinsichtlich des Minimalstandards in Gesund­heits­­fürsorge und der Nahrungsvorsorge unterschied sich Theresienstadt aber kaum von anderen Konzentrationslagern.
Im September 1942 wurde die Stelle des „Direktors für musikalische Frei­zeit­­gestaltung“ mit dem jüdischen Komponisten Viktor Ullmann besetzt. Ull­mann wurde 1898 in Teschen in der Nähe von Prag geboren und war Kom­positionsschüler Arnold Schönbergs in Wien gewesen. 1942 wurde Ull­mann von den Nazis ins Ghetto Theresienstadt verfrachtet, wo er – immer noch an das Positive im Menschen glaubend – trotz Hunger und heftiger Proble­me in der Bewältigung des Terezíner Alltags um ein reiches Musikle­ben be­sorgt war und so viel komponierte wie noch nie. In seinen zwei The­re­sien­städter-Jahren entstanden genau soviele Werke wie in den gut zwanzig Jah­ren davor: Siebzehn größere Kompositionen, darunter drei Klavier­so­na­ten, ein Streichquartett, Liedzyklen, Orchesterwerke, Chorwerke sowie eine Oper. (Ähnliches kann man auch an anderen inhaftierten Komponisten wie Pavel Haas, Hans Krása und Gideon Klein beobachten.) Ullmanns Tage­buch­auf­zei­ch­nungen – gesammelt unter dem Titel „Der fremde Passa­gier“ – legen ein be­ein­druckendes Zeugnis davon ab, dass er in dieser Zeit innerlich sehr ge­wachsen ist, und immer mehr von der Unzerstörbarkeit des mensch­lichen Geis­tes durchdrungen war und unerschütterlich an die regenerative Rolle der Kunst innerhalb der bedrückenden Lebensumstände des Ghettos glaubte. Im Winter 1943/44 entstand die Oper „Der Kaiser von At­lan­tis“, eine „Le­gen­de in vier Bildern“, die ursprünglich den Titel „Der Tod dankt ab“ und „Die Todesverweigerung“ getragen hatte. 1944 fand in The­re­sien­stadt noch eine „Generalprobe“ statt. Es ist unklar, warum es nicht mehr zu einer Pre­miere kam. Möglicherweise hat die SS nach einer der Proben die Auf­füh­rung verboten, vielleicht war aber die Deportation beteiligter Musiker nach Auschwitz der Grund. Es könnte auch sein, dass die Akteure aber auf die Ur­aufführung verzichtet haben, da sie sich der Bri­sanz dieses unverhohlen antifaschistischen Werkes bewusst wurden. Ull­mann wurde am 16. Oktober 1944 in einem Viehwagen nach Auschwitz deportiert und ermordet.

Die „Kaiser“-Oper ist eine Parabel vom Spiel des Kaisers mit dem Tod um das Leben. Das „Spiel“, bei dem es um nichts weniger als die vom Kaiser geplante Vernichtung allen menschlichen Lebens und um die Verhinderung dieses wahnwitzigen Vorhabens durch den Tod geht, endet mit dem Untergang des Kaisers und mit der Vision eines neuen Verständnisses von Leben und Tod. „Der Kaiser von Atlantis“ wurde erst 1975 in Amsterdam uraufgeführt. Das Libretto stammt von dem Maler und Dichter Petr Kien, der ebenfalls in The­re­sienstadt inhaftiert war. Kien meldet sich freiwillig mit seiner Frau und den Eltern zum Abtransport nach Auschwitz, in dem auch Ullmann saß. Er übersteht die Selektion auf der Rampe in Auschwitz, kommt aber Ende 1944 durch eine Infektion ums Leben.
Das Thema seines „Kaisers“ war so bildhaft, dass die parabelhafte Ent­blö­ßung der damaligen Wirklichkeit niemandem entgehen konnte: Der Kaiser von Atlantis herrscht als Tyrann über sein Land und führt Krieg, weil er sich be­reichern und größere Macht gewinnen will. Dem als Person auftretenden Tod befiehlt er, die feindlichen Soldaten niederzustrecken. Aber der lehnt das ab, verweigert sich ganz und streikt. Nun stirbt überhaupt niemand mehr. Das Leben verfällt in Lähmung ohne den Tod, der Kaiser kann nichts mehr ausrichten, sein Land versinkt im Chaos. Verzweifelt fleht der Herrscher in sei­ner Ohnmacht den Tod an, mit seinem Werk doch wieder fortzufahren. Aber ver­geblich. Am Ende willigt der Tod schließlich ein, seine Rolle wieder zu spie­len, stellt aber zur Bedingung, daß der Kaiser das erste Opfer sein soll. (Zi­tiert nach Milan Kuna: „Musik an der Grenze des Lebens“, Frankfurt/Main 1998)
Der Kaiser von Atlantis ist als Kammeroper für sieben Sänger und dreizehn Instrumentalisten ohne Chor komponiert. Ullmann scheint beim Komponie­ren der Oper „seine“ Theresienstädter Musiker und Sänger im Ohr gehabt zu haben. Er arbeitete auch Zitate aus bekannten Werken oder Melodien ein, um bestimmte Absichten symbolisierend zu verdeutlichen: Als parodie­ren­de Anspielung auf den Kaiser Overall und sein Land zitiert er Pas­sa­gen der deutschen Nationalhymne und Martin Luthers Choral Ein feste Burg ist unser Gott. Eine Oper von höchstem künstlerischem Rang, die damals als schau­rig klare Allegorie zum Zeitgeschehen Stellung bezog und dabei bis heu­te nichts an erschütternder Aktualität eingebüßt hat.

Vorstellungen gibt es am 04., 06., 10., 14., 22. und 31. März

17
Zurück zur Ausgabe: 
03/10
FotoautorInnen: 
Christian Brachwitz

& Drupal

spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014