1. Takt: Ansaugen, 2. Takt: Verdichten, 3. Takt: Arbeiten, 4. Takt: Ausstossen

Was man mit Sprache alles anstellen kann. Adelheid Dahimène konstruiert in „Experiment Literatur“ einen Leseabend wie einen Viertaktmotor: „Ein Viertaktmotor ist ein Hubkolbenmotor, der den Kreisprozess in vier Takten bewältigt. Diese vier Takte nennt man auch Animation.“

„Ins Literarische übersetzt bedeutet dieser Vor­gang einen geschlossenen Kreislauf unter Be­tei­li­gung von vier Autor/innen.“, meint Dahimène.
In diesem Sinne: Yvonne Giedenbacher saugt an, ihre Texte fließen schnell, wie ein mit doppelter Ge­schwindigkeit zurückgespulter Film. Geschich­ten aus dem Tagebuch der Kindheit. Stefan Rois ver­dichtet, das heißt: Er erzählt Gedanken, ohne da­bei episch zu werden. Rois komprimiert Lite­ra­tur zur Philosophie. Seine Fragen, getragen vom Wunsch nach Erkenntnis und Bewusstsein, könnte auch ein Kind stellen, vermutlich, weil diese Fra­gen so alt wie die Menschheit sind. Also noch einmal von vorne: Was ist der Sinn des Lebens? Doris Mitter­ba­cher alias Mieze Medusa arbeitet, ihre Texte sind eine Abfolge an Sätzen, die wie flin­ke Hand­griffe Sze­narien entwerfen. Natürlich so­zi­alkri­tisch, frei­­lich feministisch, aber zurückhal­tend des­kriptiv. Sie klagt nicht an, sie be­schreibt, was ist. So vorgelesen wird die Unter­drüc­kung der Frau zum Bild, zur Konfrontation mit Alltag, der auf ei­ner schiefen Ebene läuft. Was in der Werbe­welt funktioniert, wird bei der Mieze Medusa zum Brech­reiz.
Haslin stößt aus. Laute Luft, lange Pausen, hält Tö­ne und verschluckt sie, hie und da schnelle Wort­­folgen, dann wieder das Betonen von Voka­len und Konsonanten, als stünden sie ohne Ver­knüpfung nebeneinander. Der Sinn der Wörter wird zerpflückt: Die Sprache liebt mich, die Spra­che liebt mich nicht. Wenn Haslin „schmug­geln“ sagt, hört man tatsächlich zwei Gs. Und dann brüllt er wie ein Stier: „Sauzüchten!“

Eine Lesung mit vier AutorInnen ist ein Sammel­su­rium an Eindrücken. Was da im Nacheinander ab­­folgt, präsentiert sich in der Erinnerung des Be­suchers als Nebeneinander, vier Gesichter, vier Stim­men, vier und noch viel mehr Texte, vier In­ten­tionen. Um Ordnung zu schaffen, komme ich auf Dahimènes Idee mit dem Ottomotor zurück, be­schleunige sie, treibe sie auf die Spitze: Nicht die einzelnen Lesungen repräsentieren die vier Takte – ich klaube mir jene Sätze aus dem Ge­dächt­nis, die mir vom Leseabend in Erinnerung geblieben sind und stelle sie zusammen wie eine An­ei­nan­der­reihung von Quintessenzen. Eine Ver­frem­dung, natürlich. Aber ganz im Sinne des Bil­des eines Le­seabends als „Viertaktgemisch“, ei­nes Pro­zesses, der sich ins Unendliche wiederholen könnte:

1. Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Die Vorstel­lung, in einem Entwicklungsroman in die falsche Richtung un­terwegs zu sein, von B nach A, macht mürbe.
2. Takt: Verdichten. Stefan Rois. Einmal war er jemandem ins Bild gelaufen. Aber das Fotopapier weigerte sich, Kada­vers Erscheinung festzuhalten. Der Hydrant hinter Kadaver er­schien unsagbar spektakulärer.
3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Sich fühlen wie Aschen­puttel auf Anti-Aging Pillen und mit einem Hühner­au­gen­pflaster dort, wo der Schuh drückt.
4. Takt: Ausstoßen. Haslin. In den Gemeinderats­aus­schuss­sitzungen wurde beschlossen, so entnahm ich einigen Pres­seberichten, dass ein buddhistisches Veranstaltungs­zen­trum nicht in ein Wohngebiet passe.

1. Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Er schaut durch mich hindurch und redet sich um Kopf und Kragen.
2. Takt: Verdichten. Stefan Rois. Das Menschengeschlecht hat nebst vielen kümmerlichen Geistern auch einige wahrhaft erhabene Naturen hervorgebracht.
3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Zwischen den wa­bernden Schmerzimpulsen hindurch auf den kodakblauen Him­mel starren, dann die Augen nach unten rutschen lassen.
4. Takt: Ausstoßen. Haslin. Ried oder Riad. Aber nichts ändert sich in Ried. Stimmt. Dort bleibt immer alles gleich. Dort werden d’Sau zücht! Und leider auch freigelassen.

1. Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Kurz bevor ich wieder einschlafe flüstert das Zimmer: „Freitag Abend“, denn manche Dinge ändern sich nie.
2. Takt: Verdichten. Stefan Rois. „Bei uns daheim“ sagt man bei uns daheim und meint damit: so ist es richtig.
3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Schönen Guten Abend. Ich mache gleich weiter.
4. Takt: Ausstoßen. Haslin. Ich schmuggelte ein Miniton­band in diesen urigen Gemeinderatssitzungsaal.

1. Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Plötzlich sehe ich die Dinge. Nicht wie sie wirklich sind. Aber doch zum ersten Mal. Dass nämlich alles ein Ende hat, unwiderbringlich.
2. Takt: Verdichten. Stefan Rois. Das Schimpfen der Philo­sophInnen über die Entfremdung war immer einseitig. Man hat selten bemerkt wie erlösend sie sein kann, wie warm Plas­tik ist.
3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Im Bus sitzen mit Kopfweh to end all Kopfweh und überlegen, ob es sich auszahlt, nach dem Foto zu suchen, das manchmal hilft.
4. Takt: Ausstoßen. Haslin. Tipps an Autofahrer: Die Win­ter­reifen nach der O-Regel zu wechseln, also von O bis O. Ich zitiere: Von Oktober bis Ostern. Von Nebel bis Bebel also.

1. Takt. Ansaugen. Yvonne Giedenbacher. Also rolle ich mei­ne Socken von den Füßen, erst links, dann rechts, zwischen meinen Zehen haben sich dunkelblaue Flusen gesammelt.
2. Takt: Verdichten. Stefan Rois. Wozu Sinn? Es funktioniert doch alles.
3. Takt: Arbeiten. Doris Mitterbacher. Seufzen. Aufste­hen.
4. Takt: Ausstoßen. Haslin. Und die Buddhisten sollen bleiben, wo sie sind.

usw.

Yvonne Giedenbacher ist 1976 in Wels geboren und hat Publi­zistik und Sinologie studiert. 2006 hat sie den FM4-Literaturpreis „wortlaut“ gewonnen und Texte in Literaturzeitschriften und Antho­logien publiziert. Sie lebt in Wien und ist derzeit Studentin der Kunstgeschichte an der Uni Wien.
Stefan Rois, Jahrgang 1983, in Linz lebend. Schriftsteller, Jour­na­list, Musiker und SpokenWordCorpus (remember „Tumido & Stefan Rois“), Student der Philosophie und Kunstwissenschaft. Bü­cher: „Die Kinder fressen ihre Revolution“, Plauen 2003, Lyrik/ „KAOS – Die Widersacher des leeren Moments“, Bückeburg 2004, Experimen­tal­prosa. (www.stefanrois.at)
Doris Mitterbacher, sprich: Mieze Medusa ist eine fixe Größe in der österr. HipHop- und Poetry-Slam-Szene und Mitglied des backlab-Kollektivs. 2007 hat sie gemeinsam mit tenderboy den Protest­songcontest gewonnen. Es gibt eine ganze Reihe an Text­ver­öf­fent­lichungen, zuletzt: „Dem Wind nach“ in DUM – das ultima­tive Maga­zin, 43/2007; „Sushiträume“ in &radieschen, 1/2007; Geboren 1975 in Schwetzingen, BRD, lebt derzeit in Wien. Germa­nistik/Ang­lis­tik Di­plom­studium.
Hermann HASLIN, alias Hermann HASLINger, ist 1952 geboren und lebt in Linz. Studium der Malerei und Grafik (Mag. art.), erzeugt cartoonistische und literarische Arbeiten. Cartoons erschienen u.a. in Trend-Profil-Extra, der Frankfurter Neuen Presse, Frank­fur­ter Rund­schau, Welt am Sonntag, Die Zeit. Literarische Veröffentlichungen in Zeitschriften und Anthologien, u.a. das Hörspiel „Embrioz“ in den Linzer Facetten sowie Lyrik in der Frankfurter Edition.

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03/08
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Reinhard Winkler

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