Normal, das sind die anderen
Vorinformation: Das Festival der Regionen wird 2009 in die Stadt rücken, bzw. an einen Stadtrand von Linz. Dieses Wegrücken von ländlichen Regionen ergab sich seitens des FdR und Linz09 aus dem beiderseitigen Wunsch miteinander zu kooperieren, besser gesagt, im Kulturhauptstadtjahr inhaltlich und organisatorisch nebeneinander autonom zu festivalisieren. Sinnvoller Anknüpfungspunkt war eine Bespielung des Stadtrandes als Region, genauer fokussiert, des Südens von Linz mit den Wohnanlagen Auwiesen und Solar City. Mit Februar 2008 startete die Ausschreibung zur Projekteinreichung, ein erster Lokalaugenschein für „Erkundungen vor Ort“ fand am 22. Februar als Spaziergang mit Helfried Hinterleitner (Kulturarbeiter aus Kleinmünchen) in Begleitung von Martin Fritz (Leiter des FdR) in Auwiesen statt.
Zu diesem Zwecke trafen sich etwa 40-50 Menschen in der Tuchfabrik, um vom Hinterleitner erste Informationen einzuholen. Nach der einleitenden Bemerkung, dass Auwiesen noch bis 1980 unbesiedelt war und als „Wiesen vor der Au“ an die Genossenschaft verkauft wurde, gab er einen Abriss der Geschichte der Tuchfabrik und informierte auf dem Spaziergang durch Wohngebiet, Schrebergarten und Sportanlage über den Wohnbau seit den 80er Jahren, diverse Statistiken, Problemlagen und Unzufriedenheiten des Viertels – über hohe Scheidungsraten, junge Bevölkerungsschichten, den Linzer Mythos der Vorstadtbandenbildung, die Vorurteile gegenüber ausländischer Bevölkerung, Wohntourismus und den Zwang einer Stadt, ihre Leute am Stadtrand unterzubringen. Es gebe zwar hier keine Wohnleerstände, aber wegen der hohen Mieten eine große Fluktuation der jungen Bevölkerungsschicht, in Richtung „weg von hier, sobald sie können“. Im Gegensatz zählt er diverse Vorteile wie vorhandene Parkplätze, Naturnähe und die gepflegten Anlagen auf und fasst zusammen: „Es wäre alles da … aber es fehlen gewisse Aspekte“. Letzten Endes habe man in Auwiesen mindestens ein Imageproblem.
Die Thematisierung von „Normalzustand und städtischen Randzonen“ weckt ohnehin widerstreitende Argumente und Gefühle. Beide Begriffe, „Normalität“ und „Stadtrand“, sind nicht so eindeutig definiert, wie es scheint. Der Autor Alexander Kiossev beschreibt in seinem Aufsatz „The Oxymoron of Normality“ (auf www.fdr.at) die Normalität als vielschichtigen Begriff von politischer Agitation zum privaten Glücksversprechen des Konsums, als vielseitige Disziplinierung zur Normalität bis hin zur alles einschließenden conditio natura. Ein undurchsichtig empfundenes, normierend disziplinierendes Regelwerk in Richtung „erwünschter Normalzustand“ lässt sich beim Rundgang vielleicht an Hand der oftmaligen Argumentation mit den Kindern einfangen: Die Kinder „haben es hier schön“, „haben Platz zum Spielen“, so einige mitgehende BewohnerInnen, werden vor Natur und Wasserkanal geschützt und anderweitig behütet und bedacht. Nicht zuletzt hat Hinterleitner selbst mit dem Kleinmünchner Kulturkreis in den 70er Jahren in einer beispielhaften Aktion der GWG ein Grundstück abgerungen, auf dem damals der größte, in Eigenregie errichtete Kinderspielplatz errichtet wurde, den sogar „Bruno Kreisky besucht hat“. Auch wenn letzteres Engagement beeindruckend ist, soll hier eine Figur der Fernsehserie Simpsons zitiert werden, eine Zeichentrickfrau, die immer wieder mal quer durch die Serie den Satz „Denkt denn hier niemand an die Kinder?“ einwirft, wenn die BewohnerInnen von Springfield am kontroversiellen Dreck der Welt oder an ihrer eigenen, besseren Zukunft zu scheitern drohen.
Dass zum Beispiel solche Blicke natürlich auch Gefahr laufen, zu stereotypen Zuschreibungen zu werden, darauf weist Fritz an anderer Stelle hin. Immerhin leben viele Menschen sehr gerne in Auwiesen, denn, so Hinterleitner: „Wer möchte schon im Zentrum wohnen“, wenn Arbeitsplatz, Ausbildungsstätten und Einkaufszentren von hier schnell und unkompliziert zu erreichen seien? In diesem Sinn verweist Ingo Mörth von der Kepleruniversität in einer Studie auf städtische Randgebiete als mittlerweile autonome Zonen, die in ihrer Funktionalität nicht mehr notwendigerweise ans Stadtzentrum angebunden sein müssen, wenngleich sie in offensichtlicher Diskrepanz zum „Cityglanz“ stehen – und auch 2009 vor allem in der unterschiedlichen Bespielung von zwei Festivals stehen werden.
Die mitwandernden KulturaktivistInnen andererseits freuen sich zum Beispiel über die Skurrilität, neben einer Gruppe junger Burschen eine Patronenhülse am Parkplatz zu finden, man sagt „stark“ beim Anblick einer kuriosen kleinen Fliegerkonstruktion auf einem Schrebergartendach, oder auf eine Bemerkung von BewohnerInnen, dass hier alles „ja eh sehr ordentlich“ sei, „dass gerade das Ordentliche ja das Beängstigende sein kann“, während Hinterleitner in einem Nebensatz einmal sagt, dass man sich freue, dass das Festival hier „für mehr Normalzustand“ sorgen könne. Man erinnert sich später beim Zusammensitzen in der örtlichen Bowlinghalle, dass es hier schon mal Berührungspunkte zu Festival gegeben hatte, nämlich als die Volkstheater Karawane hier Station gemacht hat: Das sei von massivem Polizeiaufgebot begleitet gewesen. Fritz stellt klar, dass es nicht normal sei, dass überall, wo das Festival stattfindet, es zu Polizeiaufgebot komme und kontert mit der nervösen Aufschaukelung in der damaligen Situation. Zusammenfassung: Erste Berührungspunkte, Informationen über die Einreichungsmodalitäten zum Festival, ausgesprochen nette Wandertagsstimmung.
Während des Ausschreibungszeitraums (bis 20. April) lädt das Festival der Regionen noch bis Anfang April zur Veranstaltungsreihe „Lokalaugenschein“ zu Erkundigungen vor Ort. Weitere Termine:
solarCity: Stadtteilbüro, Heliosallee 84. 29.02., 16.00 h: Dietburg Wilflingseder (Apothekerin, solarCity), Peter Arlt (Stadtsoziologe, Linz).
solarCity: Lunaplatz. 14.03., 16.00 h: Wolfgang Raab (OKIPS), Gabriele Heidecker (Architekturvermittlerin & Kulturarbeiterin, Linz).
Auwiesen: Endhaltestelle Linie 1. 28.03., 16.00 h: Martina Haberleitner (ehem. Leiterin Jugendzentrum Alpha, Auwiesen), Veronika Weidinger (Journalistin, FM4).
Schwerpunktgebiet: Endhaltestelle Linie 1/Auwiesen. 10.04., 17.00 h: Abschlusswanderung mit Mitgliedern des Festivalteams und -vorstands. Mit Manfred Carrington (Autor „Der Süden von Linz“).
Nähere Informationen zur Ausschreibung und zum Schwerpunktgebiet: www.fdr.at
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