Der Gegenwartserinnerungsrecycler
Das Gespräch findet im Gemüsegarten des Bellevue statt. Kurt Lackner ist hier einer von 16 Artists in Residence. Vor drei Monaten ließ Lackner über Flyer oder Mundpropaganda einen Suchauftrag verbreiten, der die umliegende Bevölkerung des Spallerhofs und des Bindermichls um Abgabe von Fotos, Dokumenten, Zeitungen, Reklame und anderem aus der Vergangenheit bat. Und hier liegt ein Schnittpunkt aus verschiedenen Brennbereichen seiner Person: Der Künstler trifft auf den Sammler und Archivar, der er auch seit Jahrzehnten ist. In seiner Bellevue-Collage findet ein Soldatenfoto aus dem zweiten Weltkrieg neben den Abrechnungslisten der Tafelsammlung der nahen Pfarre Platz, wie auch das aktuelle Fußballergebnis des Spiels von Rapid gegen den Lask vom 1. August dieses Jahres. Auf Lackners dadaistischer Collagenoberfläche schwimmen unterschiedlichste Schichten aus seinen Tiefengängen in die Vergangenheit und deren Kammern, aber auch Derivate von Zeitaktuellem hoch und manifestieren eine tagebuchartige Versuchsanordnung, die sich um zeitliche oder thematische Nähe wenig zu scheren scheint, aber doch immer zeitdokumentarisch wie geografisch einordenbar ist und damit selbst zum historischen Dokument wird. Die Elemente überdecken, addieren, konterkarieren sich, werden übermalt oder schaukeln sich mitunter skurril auf. Jeder Betrachter hat im Archiv seiner eigenen Erinnerungen zu kramen, um sich dann lustvoll auf seine individuelle Assoziationsspur begeben zu können: Ein Fünfzehnjähriger erkennt im Portrait Jochen Rindts vermutlich keinen Rennfahrer, sondern eher eine Plattnase. Postkartenidyllen längst vergangener Tage postulierten sich mitunter als subversive Kritiker an Entwicklungen der Gegenwart. Lackner ist ein Haptiker, er greift nach Dingen, die als Original erreichbar sind. Seine Arbeitsweise kennt nur Schere, Kleber und Stift. Photoshop-Anwendungen sind ihm undenkbar und Punkrock-Klassiker wie die Ramones notwendige Arbeitsmusiken.
Archivar der Erinnerung.
Lackner „gräbt“ in den Kellern, Dachböden, auf Flohmärkten und sonstwo. Keine Zeitung kommt ihm ungeschoren unter die Schere. Auch wenn er wie zuletzt für drei Monate in ein Atelier der „Fabrik“ in Burgdorf bei Bern eingeladen war, werden nach der Rückkehr die Zeitungen durchgeackert und bemerkenswerte Images archiviert. Sein Sammeltrieb blickt vor allem in die Vergangenheit. Was für den einen Müll ist, ist für ihn ein Fragment des Festhaltens der Zeit, der Erinnerung oder auch Ausdruck von heute flüchtig gewordenen Qualitäts- oder auch Dokumentieransprüchen: Reklame, Grafiken, Spielzeug, Schilder, Schallplatten, Zeitungen und Fotos – seit 1995 mit dem Themenschwerpunkt „der unsäglichen Zeit des Dritten Reiches.“, wie Lackner sagt. Ein Projekt, an dem er auch seit langem arbeitet, wird in einem Buch münden: „Im Krieg“ ist der Arbeitstitel. Ursprünglich war sein Interesse am zweiten Weltkrieg ein fotografisches, bei dem er ehemalige Soldaten aus seiner Heimatgemeinde Ottensheim und darüber hinaus dokumentiert. Weiters wurde in den Begegnungen mit den Männern das Wort immer wichtiger und es entwickelte sich das Projekt um eine textliche Komponente weiter – in der nichts drinnen steht, was die Befragten nicht möchten. Dies führte ihn dann zum Sammeln der historischen Fotografien. Fotografie ist für Lackner sein zweites künstlerisches Ausdrucksmedium, dabei ist ihm wie bei allen seinen künstlerischen und sammlerischen Arbeiten immer die Serie wichtig. Im Brennpunkt seines fotografischen, nach wie vor analogen (!), Blicks steht das Portrait mit Themen wie Jugendkultur oder Tätowierung.
I don’t wanna grow up.
Im kommenden Monat wird Lackner bei einigen Projekten beteiligt sein, vorerst beim von Martin Hochleitner in der Landesgalerie initiierten „One-Night Stand“. An 21 Tagen stellen täglich wechselnd 21 Linzer KünstlerInnen aus. Für seine Personale (06.09.) hat er sich unter dem Motto „I don’t wanna grow up“ ein Best of aus den letzten Jahren vorgenommen und will die Landesgalerie zu einer lustvollen Spielwiese in Art einer Installation seiner Arbeiten und Sammlungen machen.
Gemeinsam mit vier anderen Kunstuniabgängern bildet Lackner das Künstlerkollektiv „Rebel Club“, die sich vor allem in kunstfernen Räumen bewegen wollen, wenn auch die Dokumentation ihrer Aktionen wieder Eingang in Ausstellungen – wie zuletzt beim Linz Blick im Lentos – findet. Bei der Leondinger Leonart „vor_Ort“ wird der Rebel Club zum SPP, zum Sonderpostpartner, er betreibt im Leondinger Stadtpark eine Art Sonderpostamt, in dem die Möglichkeit besteht, Grußpost im Stadtgebiet auf ganz besondere Art zu versenden. Die gesammelte Post wird von den Künstlern – in adäquater Montur und Arbeitshaltung – persönlich und gebührenfrei zugestellt. Der Funfaktor kommt bei dieser Künstlergruppe ebenso wenig zu kurz, wie das Aufgreifen von ganz aktuellen Themen. Lackner ist auch Mitglied im Künstlerzentrum Schloss Parz, das die Arbeit von Hans Hoffmann-Ybbs weiter brennen lassen will. Von 22.10.–22.11. kommt es in den Parz-Kontakten zu einer Ausstellung im Grieskirchner Wasserschloss, bei der er mit dem spanischen Künstler Ricardo Laspidea zusammenarbeiten wird.
Kurt Lackner lebt und arbeitet sehr gern in Linz, war und ist auch als Kunstvermittler im Lentos tätig und ist Mitglied der Künstlervereinigung Maerz.
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