Hasenbanden verrücken die Provinz

„Gebt’s ma a Gwehr, damid i’s daschiaßn kau“, brummt ein dicker Mann in kurzen Hosen. Ein kleiner Hund schlägt an, als er die Hasen dabei erwischt, wie sie den Bahnhof betreten. Dominika Meindl begleitet eine Gruppe Hasen auf Irritationstour durch die Stadt – und macht am Ende ganz unerwartet die Erfahrung, dass Vermummung nicht gleich Vermummung ist.

„Gebt’s ma a Gwehr, damid i’s daschiaßn kau“, brummt ein dicker Mann in kurzen Hosen. Ein klei­­ner Hund schlägt an, als er die Hasen dabei er­wischt, wie sie den Bahnhof betreten. Die Ha­sen­jagd ist eröffnet – geschossen wird aber trotz der grollenden Drohung des verhinderten Jägers nicht mit Schießeisen, sondern mit Kameras – und Bli­cken. Schließlich fällt es auf, wenn ein Dutzend Menschen mit Hasenmasken über dem Kopf im öf­fentlichen Raum ausschwärmen.

Hinter der humanoiden Hasengruppe steht der Kunst­Raum Goethestraße xtd (pro mente OÖ) in Kooperation mit Linz09: Das Gesamtprojekt „Der kranke Hase//Verrückt nach Linz“ widmet sich seit März dieses Jahres quasi dem Zurechtrücken des Verrückten in der gesellschaftlichen Wahr­neh­­mung. Noch bis Oktober soll das normaler­wei­se als verrückt Erachtete den öffentlichen Raum er­o­bern und verändern. Ebenso anschaulich wie ef­fek­tiv gelingt das mit den Hasenköpfen der Künst­lerinnen Cornelia Kraske und Elisabeth Windner. Hundert Stück davon können an verschiedenen Or­ten in Linz ausgeliehen werden. Das Projekt ver­steht sich als Kommunika­tions­an­gebot: Neu­gie­ri­ge verkleiden sich als Hasen und wandern durch die Kulturhauptstadt – einzeln oder in Gruppen. In Gruppen erhöht sich die In­ter­aktion mit der Umwelt um ein Vielfaches.

Wir begleiten eine Gruppe unter der Führung von Vanja Krajnc. Bevor sich die Teilneh­mer­In­nen in Hasen verwandeln, gibt sie genaue Ins­truk­tio­nen. „Ein Hase spricht nicht. Redet nicht mit den Leu­ten.“ Klingt paradox angesichts des Labels „Kom­munikationsangebot“ – ist es aber nicht. Gerade die Stummheit der Hasen wird den Austausch mit den „Nichthasen“ intensivieren, wie sich bald zeigt. „Man soll sich darüber auch im Klaren sein, dass es für den Kranken Hasen ganz normal ist, dass er ein Hase ist und deshalb soll es auch für dich ganz normal sein, mit einen Hasenkopf durch die Stadt zu spazieren“, erklärt sie weiter. Sie rät, Tiere zu meiden, aus Erfahrung reagieren Hunde verstört auf die Riesenhasen.
Quod erat demonstrandum – das zeigt der Hund vor dem Bahnhof. Die Hasen lassen ihn links liegen, beziehungsweise kläffen. Sofort beginnt sich im Inneren des Gebäudes die Umgebung durch die Hasengruppe zu verändern. Das Gleiche gilt auch für das Verhalten der Hasen. Schon alleine durch die eingeschränkte Sicht durch die Au­gen­öffnung der Maske verschiebt sich ihr Blick­win­kel. Alles pas­siert unabgesprochen. Ein paar ganz abgebrüh­te PassantInnen bemühen sich, sich nichts an­mer­ken zu lassen. „Hasenmimen? Pas­siert mir als ur­banem jungen Menschen andauernd“, signalisiert ihr Verhalten. Die meisten aber schauen ungeniert. Und fragen oder kommentieren, doch die Hasen sprechen tatsächlich nicht. „Wos soi des?“, „Haaß is’, Hasis!“, „He, Bunny!“ Ein Vater mit seinem Sohn grinst breit und zückt die Handykamera. Ein Mann stellt sich neben einen Hasen, legt seinen Arm um seine Schulter, lächelt in die Kame­ra.
Wenn das Gesicht eines Menschen nicht sichtbar ist, schwindet das Distanzgefühl. Umgekehrt aber auch. Die Hasen verhalten sich immer ungenierter. Belauschen Menschen im Café, beim Telefo­nie­ren, schauen beim Fahrkartenkaufen mit aufs Display. Stellen sich ganz nah neben Wartende und bleiben. Viele beginnen, die Interaktion mit den Nichthasen herauszufordern. Wer sich so auf­­fällig verhält, stellt sich auch zur Disposition. „Waun mia erst a neiche Regierung ham, daun hert si des ois auf!“ schimpft eine alte Frau, die sich die Stufen herabquält.

Abgesehen von den blöden Sprüchen, die ja auch sehr amüsant sein können, hat Vanja Krajnc mit dem Projekt noch keine wirklich negativen Er­fah­rungen gemacht, eher im Gegenteil. Einer Kol­legin sei es bei einer Hasenführung aber schon pas­siert, dass ihr ein junger Mann einen heftigen Nasenstüber verpasst hat.

Beim Warten auf den Bus nehmen die Teilneh­mer­­Innen die Masken kurz ab. Sofort sprudelt es aus ihnen heraus, Erfahrungen werden ausgetauscht, viele lachen. Dann steigen wir – wieder maskiert – in den Bus. Drei ältere Damen haben ihre helle Freude mit den Hasen. Fröhlich beginnen sie Wit­ze zu reißen und vom Kranken Hasen in der Grot­tenbahn zu schwärmen. Andere Fahr­gäste beobachten das Geschehen aus den Augen­winkeln. Auf dem Domplatz schwärmen die Ha­sen wieder aus. Ein witziger Anblick, wie sich die Bande den öf­fent­lichen Raum erobert. Überall dre­hen sich die Köpfe der Nichthasen um, als sie über die Land­straße flaniert.
Wenig zu lachen hat ein Mann auf dem Tauben­markt: Schwarzkappler haben den Afrikaner beim Schwarzfahren erwischt und sofort die Poli­zei ge­rufen. Allmählich kommen die Hasen nä­her, schau­en neugierig bei der Amtshandlung zu. Die Poli­zis­ten werfen leicht ungehaltene Blicke, reagieren aber nicht weiter. Wie auch? Andere Zeugen auf dem zur Stoßzeit vollen Platz dürfen ja auch aus der Distanz zusehen. Sollen sie etwa die Hasen ge­mäß des Vermummungsverbotes an­zei­gen? Einst­weilen nutzen diese die Anonymität durch die Mas­ke. „Mein Name ist Hase, ich weiß von nichts.“  

Bei der visualisierten Klangwolke am 05. September werden alle 100 Hasenköpfe durch die Stadt ziehen. Zur Vorbereitung findet am 03. September um 12.00 h oder am 04. September um 17.00 h der Workshop „Die Störenden“ mit dem Schauspieler Thomas Pohl statt. Die letzte Gelegenheit, sich in einen Kranken Hasen zu verwandeln, gibt es beim Abschlussfest am 10. Oktober um 15.00 h. Infos/Anmeldung: office@kunstraum.at oder 0732/65 13 46 16.

http://der-kranke-hase.interference.at
www.kunstraum.at
www.youtube.com/watch?v=nAjLudMHU7k

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09/09
FotoautorInnen: 
Dominika Meindl

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