Klangrauschen auf 103,0 MHz
Vom 12. September bis 31. Oktober lassen sich auf der Frequenz 103,0 MHz mittels eines gewöhnlichen Radios neue audiophile und literarische Seiten an Linz entdecken. An 13 Orten in Linz werden durch lokal begrenzte Radiosender Arbeiten von 30 internationalen SoundkünstlerInnen über den Äther geschickt und sorgen für frische Töne und Perspektiven in der Stadt. Grundlage für die akustischen Arbeiten waren 13 Orte und Geschichten, welche von renommierten oberösterreichischen AutorInnen geschrieben wurden. Ohrenzeuge kann dabei jeder werden, der sich mit einem Radio an die einzelnen Orte begibt, die Frequenz einstellt und seine Ohren spitzt. Bernd Kranebitter und Clemens Pichler im Interview über das von ihnen gestaltete Projekt.
Eine experimentelle Nutzung des Äthers ist ein zentrales Thema des Projektes. Mir fällt die erste Linzer Klangwolke ein, bei der die Linzer aufgefordert wurden, ihre Radios in die Fenster zu stellen und damit Teil eines Klangexperimentes im öffentlichen Raum zu werden. Darf so eine gedankliche Verbindung zu eurem Projekt überhaupt hergestellt werden?
BK: Das Prinzip ist ähnlich. Damals haben verschiedene Radioquellen ein Zusammenwirken unterschiedlicher Hörerlebnisse hervorgerufen, sogar der Linzer Hauptbahnhof und Linzer Taxis haben Bruckners Achte übertragen. Eine sehr gelungene Aktion! Die experimentelle Phase hat genau genommen aber erst an dem Punkt begonnen, als die Radios eingeschaltet wurden. Der Ansatz von radiospotting ist es, ein Experimentierfeld für grenzüberschreitende künstlerische Arbeiten zu schaffen, wo sich LiteratInnen und SoundkünstlerInnen mit dem öffentlichen Raum einschließlich des Äthers experimentell beschäftigen und das Medium Radio als einen zu gestaltenden Raum begreifen.
Es war uns immer bewusst, dass sich im Bereich Soundart, Hörspiel oder experimenteller Komposition außerordentlich viel tut. Gleichzeitig muß man feststellen, dass diese Genres in der klassischen Radiolandschaft – mal abgesehen von den Freien Radios – einer konsequenten Verdrängung ausgesetzt sind und nun durch eine geschickte Verlagerung ins Internet originelle Präsentationsmöglichkeiten gefunden haben. Dabei eignet sich das beispiellos funktionierende Medium Radio doch hervorragend für eine experimentelle Nutzung – insbesondere für eine Nutzung im öffentlichen Raum.
CP: Ausgangspunkt des Projekts war ja die Utopie der vertonten Stadt. Insofern läßt sich schnell eine Verbindung zur Idee des leider mittlerweile verstorbenen Herrn Bognermayr herstellen. Im Unterschied zur Klangwolke – als Massenspektakel des uniformierten Hörens – haben wir aber an eine akustische Erweiterung des Stadtbildes und seiner Vielfalt gadacht. Es geht dabei auch um ein Entdecken.
Ihr habt LiteratInnen und SoundkünstlerInnen eingeladen, Beiträge zu gestalten. Welches Spektrum an KünstlerInnen und Inhalten wird zu hören sein? Wie waren Vorgehensweise und Auswahl für den radiophonen Stadtplan?
BK: Wir haben schon im Oktober letzten Jahres oberösterreichische AutorInnen eingeladen, jeweils eine Kurzgeschichte zu einem selbstgewählten Ort in Linz zu schreiben, zu dem sie einen besonderen Bezug haben. Ungefähr 5 Monate später haben dann 13 AutorInnen ihre Texte zugeschickt, die unterschiedlicher nicht sein können. Wenn ich heute über den Tummelplatz gehe, muß ich automatisch an einen bis heute unaufgeklärten Mordfall denken, den Autor Herbert Christian Stöger nach 20 Jahren wieder aufrollt, am Neuen Dom fällt mir Kurt Mitterndorfers Base-Jumper ein, der im freien Fall über das „Elend der Literatur in Linz“ rezitiert und am Hauptbahnhof erinnert mich Marion Jerschowa daran, wie wichtig die richtige Atmosphäre in Momenten des Abschieds oder der Ankunft ist, gerade wenn man in Linz lebt.
CP: Es gab dann eine öffentliche Ausschreibung für SoundkünstlerInnen, die sich von den Geschichten und Orten inspirieren haben lassen und eigenständige Kompositionen speziell für das Projekt produziert haben. Die 30 Einreichungen aus Deutschland, Österreich, Frankreich, Taiwan, … bewegen sich aber im Rahmen neuer Komposition auf elektronischer Basis. Wie auf textlicher Ebene lässt sich aber auch ein breites Spektrum im Akustischen feststellen. Ich denke, dass wir durch die Beiträge und deren Präsentationsform tatsächlich eine Möglichkeit gefunden haben, Soundart einem breiten Publikum zugänglich zu machen.
Kommunikation entsteht beim Empfänger, schreibt ihr mit Paul Watzlawick. Das Projekt wirkt durch die Hörer, die mit ihren Radios erst in Bewegung geraten müssen, um die verschiedenen Beiträge zu empfangen, zuallererst eben – beweglich. Erwartet ihr dadurch eine spezielle Form der Kommunikation oder Benutzung des öffentlichen Raumes?
BK: Natürlich können dadurch Orte der Begegnung entstehen, vor allem dann, wenn sich mehrere Personen zufällig mit eingeschalteten Radios am selben Ort befinden. Bestimmte Orte in Linz können aber auch individuell für jeden selbst zurückerobert werden, indem Geschichten und neue Töne die Fantasie anregen und Orte neue Bedeutung erlangen. Was die Nutzung des öffentlichen Raumes betrifft, denke ich, dass nicht nur ein Wandel stattfindet, sondern dass es vielmehr einen Verlust an öffentlichem Raum – als demokratischen Raum – gibt. Immer weniger wird dieser Raum als gestaltet und somit von Menschen gemacht erfahren. Ich bin generell der Meinung, dass Möglichkeiten und Grenzen durch Handlungen erprobt werden müssen. Was passiert, wenn ich eine Couch auf die Straße stelle und Radio höre? Wie lang steht die da? Was passiert, wenn ich einen Film auf eine Hausmauer projiziere und Passanten zum Open-Air-Kino einlade? Muss ich eine Strafe zahlen oder nicht? Das meine ich tatsächlich als Aufruf, um herauszufinden, wo eigentlich die Grenzen des öffentlichen Raums sind.
Euer Projekt wäre grundsätzlich zur Fortsetzung geeignet. Etwa an lokalen AutorInnen jedes Spektrums würde es sicherlich nicht mangeln. Allerdings geht es bei radiospotting auch um eine rechtliche Regelung der Radiofrequenzenvergabe, die eine Umsetzung eines Kunstprojektes dieser Art etwas schwierig macht?
BK: Es gibt natürlich eine Vielzahl außergewöhnlicher und ausdrucksstarker Perspektiven und Identitäten in Linz, die in ihrer künstlerischen Zielsetzung auch auf ganz unterschiedliche Veränderungen sensibilisieren. Eine Einbindung von beispielsweise MigrantInnen oder Obdachlosen in den literarischen Schaffensprozess wäre sicherlich spannend.
Die rechtlichen Regelungen und Gesetze für die Vergabe einer Radiofrequenz gleichen einem minotaurischen Labyrinth, ein Sinnbild zeitloser Orientierungslosigkeit. Die mitunter veralteten Regelungen spiegeln schon gar nicht ein demokratisches Prinzip wider, noch erlauben sie eine unbürokratische und kostenfreie Nutzung des Äthers für künstlerische Projekte. Da muß einfach ein unkomplizierterer Zugang geschaffen werden. Es kommt auch immer auf die Größe und Spontanität eines eigenständigen Radioprojektes an. Oft bleibt auch nur mehr der Ausweg zum Piratenradio.
CP: Wobei das Projekt im mehr oder weniger Geheimen die Forderung für ein freies Nutzen freier Sendefrequenzen impliziert. Die Notruffrequenzen sind bald auf digitale umgestellt. So steht dieser Forderung eigetlich nichts im Wege.
Während der gesamten Laufzeit des Projektes sollen KünstlerInnen mit Performances und Aktionen den öffentlichen Raum an den jeweiligen Sendespots bespielen. Was kann man sich da quasi „äther-experimentell“ so vorstellen?
BK: Dafür ist kein Programm vorgesehen. Solche Aktionen werden und müssen spontan passieren. Die Wirksamkeit beruht ganz auf dem Moment der unerwarteten Begegnung.
Die „Rauschefahrt“ am 11. September sollte für die Eröffnung des Projektes einen signigikanten Impuls geben.
CP: Mit diesem Projekt haben wir eigentlich nur einen Rahmen hergestellt bzw. eine Formalität mit dazugehörigen Know-How. Dies alles stellen wir gern zur Verfügung für künstlerische Aktivitäten jeglicher Form. Dabei beziehe ich mich auf eine Erweiterung der radiospots bis hin zur vertonten Stadt – sowie auf eine Erweiterung der bestehenden Radiospots. Performances, landschaftsarchitektonische Dauerzustände, Skulpturen würden mit spontan einfallen. Dazugesagt sei, dass es sich dabei um einen Aufruf handelt!
Opening: 11. September
Rauschefahrt und Konzert in der KAPU
Ein besonderer Auftakt zu radiospotting bildet die Eröffnung mit einer „Rauschefahrt“ am 11. September durch die Stadt. Radfahrer mit eingeschalteten Radios rauschen im wahrsten Sinne des Wortes durch alle 13 Radiostationen. Die Radios werden so lange rauschen, bis sie in den Sendebereich eines radiospots einfahren. Der Ausflug mündet am frühen Abend zu einem Konzert in der KAPU mit E. Stonji, Masha Qrella, DJ FlorianO und dem DJ-Set von Transfromer di Roboter.
www.kapu.or.at
Zusatzinfo: Wer kein eigenes Radio besitzt oder in Linz nur auf Besuch ist, kann sich ein Radio samt radiophonem Stadtplan gratis ausleihen: Buchhandlung Alex, Lentos, Infopoint Wissensturm oder im Grand Cafe Rother Krebs.
Mehr Infos: www.radiospotting.net
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