Aus der Ferne – Entmummt

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„Was soll ich anziehen?“ – eine Frage, die man als Mutter eines 14jährigen nicht so unbedingt erwartet, sind Men­schen seiner Altersgruppe doch in der glücklichen Lage, meist mit ein paar halblangen Hosen, einigen T-Shirts und zwei bis drei Kapuzenjacken das textile Auslangen zu finden. Seit einigen Monaten aber steht diese Frage des Öfteren im Raum, wenn sich der 14jährige gen Innenstadt aufmacht, um mit Freunden einen Oreo-Shake zu trinken oder an einer Demonstration vorbei zu schlendern oder gar teilzunehmen, oder beabsichtigt, alles auf einmal und gleichzeitig zu tun (Dass er sich dabei tunlichst nicht von Ver­tre­tern eines Massenblattes fotografieren und interviewen lassen sollte, haben wir mittlerweile auch geklärt). Seit dem 01. Mai nämlich hat sich seine Sicht auf die Welt und auf sich selbst als Bürger verändert. Seit dem 01. Mai wird eher eine Ohrenentzündung oder totale Uncoolness in Kauf ge­nommen, als dass bei Wind, aus Schüchternheit oder einfach aus Grant auf die Welt die Kapuze über die Ohren ge­zogen wird. Der 14jährige hat am ersten Mai jene gleichermaßen wohlbekannte wie abscheuliche Szene beobachtet, mit der sich Linz wieder einmal der Welt in Erinnerung gerufen hat, bei der Menschen – zum Teil kaum älter als er selbst – von den Ordnungshütern dieser Stadt ein paar hand­feste Tipps bekamen, wie sie sich zu kleiden hätten, wenn sie denn schon meinen, für ihre politischen Ansichten auf die Strasse gehen zu müssen und der offenbar irrigen An­sicht unterliegen, sie könnten dies durch Bürgerrechte geschützt anonymisiert tun. Geschützt hingegen durch den Begriff „Vermummungsverbot“ dreschen Polizisten munter drauf los, auf jeden und jede, der oder die sich in entsprechendem Kontext weigert, die Sonnenbrille oder Kapuze ab­zu­setzen. Schlimmer noch – und in diesem Land geht es immer schlimmer – wird nun die häusliche Diskussion er­gänzt durch die Meldung, dass jener 14jährige Einbrecher nach aktuellen Aussagen vermummt (daran erinnern sich die niederösterreichischen Polizisten allerdings erst, seit die oberösterreichischen Kollegen die Ermittlungen übernommen haben) Polizisten angegriffen hat und somit nach Ansicht der Polizei selbst die Legitimierung geschaffen hat, von hinten erschossen zu werden. „Wie geht das?“, fragt mein Vierzehnjähriger, der dan­­kenswerterweise nicht ein­brechen geht, unter anderem weil er in einem völlig an­deren Umfeld erzogen wur­de, und in Österreich soziale In­tel­li­genz ja nicht in einem entsprechend gerechten Bil­dungs­sys­tem gelehrt oder an­erzogen, sondern vererbt wird, ständestaatlich qua Ge­burt über den Zugang zu Bil­dung entschieden wird, „wie geht das, dass ich einen von hinten erschieße, der mich an­greift? Und ist es nicht irgendwie logisch, dass sich Einbrecher vermummen?“ Der Vier­zehnjährige lebt noch nicht so lange in Österreich, sonst wüsste er, dass in Österreich auch Angreifer von hinten er­schossen werden kön­nen. Jedenfalls sind unsere Abende nun angereichert zu­sätzlich zu Themen wie: Spritzen, die laut der Linzer ÖVP tonnenweise in dem Park vor unserer Wohnung liegen oder grammatikalisch problematischen, weil der Ver­ben und der lokalen Präposition verlustig gegangenen Sätzen wie „Erst Deutsch – dann Schule“ – wobei der 14jährige sich zu Recht wundert, in welcher Schule man bloß solches Deutsch lernen würde – durch jene Fragen: Muss ich meine Kapuze ab­nehmen, bevor oder nachdem der Polizist mich verprügelt hat, oder seit wann werden Einbrecher in Österreich nicht nur wegen Vergehens nach dem Eigentumsgesetz sondern auch nach dem Vermummungsverbot profilaktisch er­schos­sen (Günther Traxler im Standard vom 18.08.09: Ein Land, das seine Kinder liebt, erschießt sie, wenn sie einen Blödsinn machen. Sonst lernen sie’s nie).

Vielleicht wird jetzt auch klar, warum bei Veranstaltungen, an denen Rechte und Neonazis teilnehmen, die Polizei nicht prügelnd eingreift: Sie sind so selten vermummt, verstoßen zwar so offenherzig eindeutig mit Tätowierungen und Hand­bewegungen gegen das Wiederbetätigungsverbot, aber – sie sind dabei halt nicht vermummt. Warum es hier keiner für notwendig hält, seine Identität zu verschleiern, sollte einem Bürger, einer Bürgerin und mehr noch etlichen Po­li­ti­kern und Politikerinnen ganz fürchterliches Kopfzerbrechen bereiten. Tut es aber offensichtlich nicht, und das wiederum bereitet mir ganz fürchterliches Kopfzerbrechen. Mehr noch – in die Höhe gestreckte rechte Arme bei einer FPÖ-Kund­ge­bung können laut Meinung der Justiz nicht eindeutig als Hitler-Gruß gesehen werden. Weshalb eine Verurteilung nicht stattfindet. Schade, dass jene nicht vermummt waren, da wäre die Polizei, ganz bestimmt, schon Vorort strafend eingeschritten.

Der Vierzehnjährige und ich, wir üben jetzt des Öfteren ver- und entmummen. Das scheint wichtig. Allerdings haben wir beide festgestellt – und man kann es auf den Fotos sehen: Er sieht sowohl ver- als auch entmummt etwas bedrohlich aus. Er hat so etwas typisch Vierzehnjähriges, macht sich Gedanken über den Zustand der Welt, ärgert sich, will verändern, verdammt gefährlich halt.

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09/09
FotoautorInnen: 
Wiltrud Hackl

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