Bescheidene Heimat
Unaufgeregt zu feiern hat seine eigenen Qualitäten. Man kann sich treu bleiben, ganz ohne Nabelschau auskommen und dennoch ganz bei sich sein. Und so nimmt es auch nicht Wunder, dass das Heimatfilmfestival #20 feiert, in dem es auch heuer ist, was es schon immer war: Ein kleines, feines Filmfestival, das sich über viele Jahre und durch viele filmische Perspektiven hin mit der Varianz von Heimatbegriffen beschäftigt hat. Mit Enge, Weite, Zugehörigkeit und Absonderung, Resignation und Sehnsucht. Wozu man hier nicht namentlich Europa kreuzen muss, weil man trittsicher die weitere Welt vermisst. Ganz selbstverständlich.
All das bestätigt auch das heurige Programm wieder aufs Neue. Alleine der bewährte Italienschwerpunkt bringt eine bemerkenswerte Breite an künstlerischen Konzepten und Themen mit sich. Beispielsweise ein Mafia-Anti-Epos als brechtsche Tragödie, das ebenso zu fesseln vermag wie ein alpindörflicher Konflikt mit dem Fremden und der eigenen Vergangenheit. Und so stehen in Freistadt Filme von Regisseuren wie Antonio Capuano und Giorgio Diritti zur Disposition, die in und über Italien hinaus Aufmerksamkeit auf sich und ihre Arbeit ziehen.
Capuanos LUNA ROSSA fasst die Camorra ins beinahe unerträglich sezierende Auge. Dabei gelingt dem Regisseur eine eigenständige und konzentrierte Ästhetik, die es versteht, Glanz und Glamour des Mafia-Mainstreams ins desavouierende Gegenteil zu verkehren. Im klassisch-matt getönten Interieur einer Hochsicherheitsvilla, einer Clan-Hölle prall von Inzest und Generationenkrieg, demaskiert er die psychische Verfasstheit der Mafia bis zur Kenntlichkeit. Menschenverachtung und kalkulierte Gewaltbereitschaft behaupten sich dabei als selbstverständliche Überlebensstrategien. Die Außenwelt wird nur zum Töten aufgesucht – bis sich das Töten auch als Generationen- und Machtfrage in der Familie einnistet. In somma: Zwischen Duisburg und diesen Film passt kein Millimeter Brando’sches Patentaschentuch.
Eine andere Welt zwischen Vergangenheit und Gegenwart sucht Giorgio Diritti auf, wenn er im piemontesischen Grenzgebiet zu Frankreich mit IL VENTO FA IL SUO GIRO auf die Verfasstheit bröckelnder Dorfstrukturen zu sprechen kommt. Die Landflucht hat die Alpentäler erfasst und die Abwanderung der Jungen lässt verstreute Wandlungswillige ebenso zurück wie ewig Unwandelbare. Das dabei ein zuwandernder französischer Schafhirte und Käser schlechte Karten hat, liegt auf der Hand. Nicht zuletzt, weil er den verbliebenen Rest an Bevölkerung mit einer bäuerlichen Vergangenheit konfrontiert, von der man sich dort längst nichts mehr verspricht. Da helfen auch die Bemühungen des Bürgermeisters wenig, an alte gemeinschaftliche Traditionen zu erinnern, Philippes Zeit in den piemontesischen Bergen ist begrenzt. Neben der vieldeutigen Bildsprache überzeugt Diritti vor allem mit einer gut in Szene gesetzten Figurenkonstellation, deren Kraft man sich gegen Ende durch eine Vogelperspektive förmlich entziehen muss.
Keine Möglichkeit sich zu entziehen liefert hingegen ein Dokumentarfilm mit Oberösterreichbezug. Leider unglücklich mit der fragwürdigen SPURENSUCHE Carina Schickmairs zusammengefasst, wird IRMAS ZEIT von Alenka Maly gezeigt. Die Kurzdoku begleitet eine Zeitzeugin des Holocausts auf ihrer Vortragsreise durch Oberösterreich. Zwischen den Stationen Localbühne, Kikas, Zeitgeschichtemuseum Ebensee, Medienwerkstatt Wels und Moviemento erzählt Irma Trksak dabei im Film das, was die Besucher der Veranstaltungen und etliche Schulklassen zu hören bekommen: Die erschütternden Details aus den Lagern Ravensbrück und Ungermark. Unermüdlich vorgetragen, mit nachdrücklicher Energie aber unglaublicher Gefasstheit und innerer Ruhe. Maly weiß dies respektvoll und schlicht, wenn auch filmerisch etwas konventionell zu dokumentieren. Gelegenheit ein Stück IRMAS ZEIT zu erleben besteht übrigens auch am 3. Oktober im Moviemento, wenn der von fiftitu% in Auftrag gegebene Film zum
90. Geburtstag von Irma Trksak ausgestrahlt wird.
All das und mehr passt also in Freistadt zum 20. Mal unter einen Hut – und verdienter Maßen auch genau hierher. Wie auch drei Beispiele österreichischer Erstaufführungen, die gerade eben in der deutschen epd-Film Aufmerksamkeit gefunden haben: BESTE ZEIT von Marcus H. Rosenmüller (ab Mitte September im Moviemento), GUCHA in der Regie von Dusan Milic und Rolf de Heers TEN CANOES. Aber damit brüstet sich hier niemand. Und das ist gut so, nicht nur für das 21. Mal.
Irma Trksak in „Irmas Zeit“ von Alenka Maly – in Linz auch Anfang Oktober im Moviemento zu sehen.
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