Aus der Ferne – Lochkarten sind eine feine Sache
Der 31.12. ist ein ganz feiner Tag, um zu schreiben. Man kann – oohoo – sein persönliches Resümee ziehen, man kann so tun, als könnte man eins ziehen, hätte also ein Jahr hinter sich gebracht voller toller, überraschender Dinge und Ereignisse, die das Leben halt aufregend und einen selbst begehrenswert machen, oder man kann, während man schreibt und die Datumsgrenze schön langsam überwindet, darauf warten, dass der angekündigte bug alles frisst und vergisst. Wie zum Beispiel zu Silvester 1999/2000, da habe ich mir die Finger über mein Leben und über die Datumsgrenze hinaus wund geschrieben und war natürlich maßlos enttäuscht, als ganz einfach nichts passierte. Die Datei gibt’s immer noch und ich habe mir geschworen, sie, wenn überhaupt, erst kurz vor meinem Tod zu lesen, sofern ich darüber informiert werde, dass ich sterben werde. Falls ich durch einen Unglücksfall aus dem Leben – ächz – gerissen werden sollte, kann man alle meine Dateien löschen, wegwerfen oder lesen, das überlasse ich jenen, die sich mit meinem Leben beschäftigen möchten oder müssen, wenn ich mal tot bin.
Wenn ich mal tot bin, kann man aber meine Dateien und Daten auf meinem Computer oder auf den jeweiligen Datenträgern vielleicht gar nicht mehr lesen, weil nämlich die dazugehörigen Abspieldinger fehlen, ebenfalls tot sind oder zumindest kaputt. Vor einem Jahr bekam ich eine Anfrage seitens eines Verlages, ob es eine Kurzgeschichte noch gäbe, die ich im vorigen Jahrhundert geschrieben habe. Es gab sie, allerdings auf einem Speichermedium namens floppy-disc, ein Teil, das seinen Namen nicht zu Unrecht trug, und für das es heute kaum mehr Laufwerke gibt. Was lernen wir daraus? Rechtzeitig Sichern, Überspielen, auf Lochkarten am besten, die fressen höchstens die Mäuse an … Ob es an einem hochdotierten Institut zur Archivierung von digitaler Medienkunst mit Sitz in Linz auch etwa Mäuse gibt, die das versprochene Archiv und die Datenbanken ständig anknabbern und es deshalb so lange dauert, bis man als Künstler, Journalist oder freier Bürger mit Interesse an Medienkunst darauf Zugriff hat, das kann ich hier nicht feststellen. Eine schöne Ausrede wär’s wenigstens.
Ich freue mich ja grundsätzlich über das nun angebrochene Jahr, weil es kulturpolitisch betrachtet das letzte sein wird, welches vor 2009 stattfindet. Das letzte Jahr in gedanklicher Freiheit sozusagen, in dem noch alle Überlegungen möglich sind, Hirngespinste und erfreuliche Vorstellungen vom Programm einer Kulturhauptstadt noch nicht von Jubelgeheul erstickt werden. Auch ist das Jahr 2008 jenes, welches das letzte sein wird, in dem ich noch nicht – ähem – 40 bin. Ein gutes Jahr also, Fußball EM (wurde in erster Linie für Nina und die Katzen organisiert), das Jahr des interkulturellen Dialogs und das erste Jahr, in dem es vierzig Jahre her ist, dass das Jahr 1968 stattfand – und man sich dementsprechende Gedanken machen könnte, was man davon ableiten könnte. Bei der Gelegenheit: Ein sonntäglicher Familienausflug durch eine Ausstellung zum Thema RAF oder eine Ausstellung zum Thema Haus-Rucker ist kein alles andere ersetzendes Mittel zur generationsübergreifenden Weitergabe geschichtlicher Realitäten, politischer Notwendigkeiten und künstlerischer Widerstandsformulierungen. Wer auf einem weißen Polster herumhüpft, hat noch keinen Beitrag geleistet zum Aufbrechen etablierter Normen und Denkmuster.
Genau, und jetzt sind wir schon bei dem, was ich mir für dieses Jahr bitteschön wünschen täte: Weniger unreflektierte rosarote Mädchenprinzipien bei 23jährigen KunststudentInnen, gläserne Krischanitz-Türme in der Gruberstraße, die genau so hoch gebaut werden, wie sie geplant wurden, einen Innenminister, dessen oberstes Gebot es nicht ist, möglichst viele Menschen ins Ausland zu verfrachten, keine weiteren Wettbureaus in der Stadt und vielleicht hie und da ein klitzekleines schwarzes Loch, in dem so manches verschwindet, das niemand vermisst – wobei wir ja wieder beim Beginn der Kolumne angelangt wären: Nicht vergessen – rechtzeitig auf Lochkarten umsteigen!
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