Geschichte macht Gegenwart

Buchbesprechung – Walter Kohl: „Nacht, die nicht enden will. Fritz Inkret, Februarkämpfer“

In der Nacht vom 12. auf den 13. Februar 1934 war Fritz Inkret an der Murbrücke zwischen Göss und Leoben postiert. Der damals 18-Jährige sicherte die Brücke mit drei weiteren Republikanischen Schutz­bündlern, wurde verhaftet und entging nur knapp der To­desstrafe. Böse Ironie der Geschichte: Erst sollte ein Kämpfer der Vaterländischen Front dem überzeugten Sozialdemokraten Inkret das Leben retten, Jahre später, in der NS-Diktatur, war es ein ranghoher Nazi.

Walter Kohl zitiert zu Beginn von „Nacht, die nicht enden will“ (im Original ohne Beistrich; warum, weiß vermutlich nicht einmal ein schlampiges Lektorat. Der Rezensent weigert sich, diese Schreib­weise zu übernehmen) Imre Kertész: „Nur wenn unsere Geschichten erzählt werden, können wir erfahren, dass sie zu Ende sind.“ Kohl erzählt die Geschichte des Fritz Inkret. Nach langen Gesprächen entstand das Porträt eines Mannes, der gerade dadurch so sympathisch wirkt, weil er kein strammer Parteisoldat ist, sondern ein Aufrechter, der sich gegen grobes Unrecht wehrte.

Eine sozialdemokratische Prägung erfuhr Inkret, 1915 in Donawitz geboren, bereits in Kindheit und Ju­gend. Die Mutter, die alleine drei Kinder aufzog, weigerte sich in den 1920er-Jahren, dem einflussreichen konservativen „Heimatschutz“ beizutreten. Die Folge waren mehrere Jobverluste samt Delogierungen. Seit er zwölf Jahre alt war, schlief Inkret mehrere Jahre lang überwiegend in Heimen, weil bei der Mutter kein Platz war.

Ebenfalls in den 1920-ern verschärften sich in Österreich zusehends die Konflikte zwischen bürgerlich-konservativem und sozialdemokratischem Lager. Erster mörderischer Höhepunkt war der Justiz­palast­brand am 15. Juli 1927. Schließlich, an jenem 12. Februar 1934, spitzte sich die Lage entscheidend zu. Walter Kohl widmet sich eingehend den politischen Hintergründen, die mit zu bürgerkriegsähnlichen Zu­ständen im Land geführt haben. Nach bürgerlich-konservativer Lesart habe Bundeskanzler Engelbert Doll­fuß damals mit legitimen Mitteln das Parlament aufgelöst und den faschistischen Ständestaat als Bollwerk gegen das nationalsozialistische Deutschland gewollt. Dieser Interpretation widerspricht Kohl entschieden. Um die Opposition auszuschalten und die Demokratie auszuhebeln, habe Dollfuß mehrfach Verfas­sungsbruch begangen. Dollfuß berief sich 1934 auf eine Verordnung aus dem Ersten Weltkrieg vom 24. Juli 1917. Dieses Gesetz ermächtigte die Regierung, „aus Anlass der durch den Kriegszustand verursachten außerordentlichen Verhältnisse die notwendigen Verfügungen auf wirtschaftlichem Gebiet zu treffen“. Kohls Argumentation: Weder habe sich Österreich 1934 im Krieg befunden, noch habe Dollfuß Maßnah­men ausschließlich „auf wirtschaftlichem Gebiet“ getroffen. (Zum zweiten Teil der bis heute gängigen Ar­gu­mentation, um Dollfuß’ Handeln zu rechtfertigen, wäre die Frage zu stellen: Lässt sich Faschismus mit Faschismus bekämpfen?)

Wiewohl sich Kohl klar auf sozialdemokratischer Seite positioniert, hegt er keinerlei „linke“ Illusionen. Auch in der Sozialdemokratie waren zu dieser Zeit radikale Kräfte am Werk. So hielt etwa die „Linzer Er­klärung“ von 1926 fest, dass Wider­stand gegen eine „Demokratie der Arbeiterklasse“ notfalls auch „mit den Mitteln der Diktatur zu brechen“ sei. Doch Kohl stellt klar: Die historische Schuld, 1934 das österrei­chische Bun­desheer auf Österreicher schießen zu lassen, liege bei Dollfuß. Kohl hängt der Theorie an, die Christlich­sozi­a­len hätten bewusst die sozialdemokratische Opposition provoziert, um sie endgültig ausschalten zu können. So habe noch am Tag vor dem 12. Februar 1934 der Wiener Heimwehrführer und Vize­kanzler Emil Fey in einer Rede ganz unverhohlen gedroht: „Wir werden morgen an die Arbeit gehen, und wir werden ganze Arbeit leisten!“ – Schwerlich anders denn als Kampfansage an die sozialdemokratische Opposition zu verstehen.

Inmitten dieser aufgeheizten Stimmung waren es Menschen wie Fritz Inkret, die für die Demokratie zu den Waffen griffen. Inkret macht, im Gespräch mit Kohl, keine großen Worte um diese Nacht. Immer wider flicht er Sätze ein wie „Na, das war eh ganz normal“ oder „Das war halt so“. Kohl beschreibt ihn als liebenswert sturen Menschen, der jedes Pathos meidet und der mit seinem Humor allzu ernste Situationen zu entschärfen weiß. Köstlich etwa jene Anekdote, als Inkret Kohl Wein anbietet. „Von Jerusalem“, wie Inkret bedeutungsschwer hinzufügt. Kohl stimmt sogleich politisch korrekt Lobeshymnen auf die hervorragende Qualität des Weines an, bis Inkret grinsend aufklärt: Der Wein stamme aus dem jugoslawischen Jerusalem, einem Ort in der Nähe von Split.

Kohl schreibt sehr gut lesbare „Geschichte von unten“, die oft mehr auszusagen vermag als eine Ge­schichte der Mächtigen. So manch großkoalitionärer Zank der Gegenwart lässt sich mithilfe dieses Por­träts besser verstehen. Ein wichtiges Buch.

Walter Kohl: „Nacht, die nicht enden will. Fritz Inkret, Februarkämpfer“. Leykam; Graz 2007, 162 Seiten mit zahlreichen Abbildungen.

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Inkret an der Brücke. Hier hatte er DIE Nacht seines Lebens verbracht, von 12. auf den 13. Februar 1934.

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