Eröffnete Verhandlungsräume

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Joseph Reitsberger „lebt, arbeitet und schläft“: Das macht er öfters, aber im September außerdem als so betitelte Residency im mobilen Kunst­raum von Z6. Exklusiv hat spotsZ eine Interview­situation geschaffen, in der Reitsberger auch „Kaffee trinkt, redet und zeichnet“.

„Ich kann nicht reden, ohne zu zeichnen“, sagt Reitsberger, während er skizziert. Was, wie er weiter anmerkt, ein Zitat von jemandem ist, dessen Namen ihm leider entfallen ist (er „vergisst“ anscheinend auch. Macht nichts). Jedenfalls sei für seine Arbeit der Zusammenhang von Zeichnen und Sprechen insofern symptomatisch, als dass er auch in seiner künstlerischen Arbeit „Denkfiguren und Ideen verankert“, die er als Zustand oder Prozess bildhaft werden lässt. Und die in Weiter­führung als Bilder auf unterschiedlichen Ebenen „verhandelt“ werden.
Zunächst befragt auf die Bedeutung seines bevorstehenden 10-tägigen Aufenthalt im mobilen Kunstraum von Z6 (Bericht siehe S. 2) und seine Beziehung zur zumindest potentiellen Mobilität des Waggons, meint Reitsberger, dass es eine ganz praktische Verbindung für ihn gebe: Er als Nicht-Führerscheinbesitzer sei ohnehin zu einem Zug-Ar­beiter und Zug-Leser geworden, zudem könne er sich vorstellen, zu­künf­tig vermehrt Aspekte wie Zonen, Orte, Beweglichkeit und „Arbeit in Bewegung“ in die künstlerische Arbeit zu integrieren. Andererseits bedeutet die Residency aber schlichtweg eine gute Gelegenheit, um „endlich wieder konzentriert arbeiten zu können, ohne an Verfüg­bar­keit von Raum an sich“ denken zu müssen. Ein Umstand, der viele Kunst­schaffende betrifft, der hier aber um Aspekte der Verant­wor­tung, des Belangs und der Skepsis weitergedreht wird. Es gehe nämlich neben der Funktionalität von Raum auch darum, „in einen Leerraum einzuziehen und diesen Raum wieder entsprechend zu hinterlassen“. Und mit etwaigen Hinterlassenschaften sind hier durchaus nicht Müll oder irgendwelche Kratzer an der Wand gemeint, sondern etwas, das als ho­he psychoaktive Aufladung, mit der während des Aufenthalts gearbeitet wird, benannt werden kann und die am Schluss wieder heraus­genommen werden muss – als inhaltliche Entkernung, Ausweidung, Aus­lösung. Übrig bleiben etwa für die Abschlussfeier der Residency die reine „Struktur“, was „Bilder ohne Aufladung“ meint, und eine spä­ter fertigzustellende Dokumentation, die unter anderem als fotografisches Doppelpanorama den Raum wiederaufzubauen vermag; andererseits die performative Körperarbeit durch Video festhalten soll. Je­denfalls soll das so entstandene Material eine Veränderung über 10 Tagen dokumentieren und auch einen Prozess, der nach außen zwar möglichst offen bleibt, aber in seiner inhaltlichen Fassung kaum be­nenn­bar, undurchsichtig, weit gestreut wirkt: Kunst zu generieren wird hier in gewisser Weise zu einer abgeschlossenen Geheimsache, zu einer, wenn man so will, mystifizierten Exklusion mit hohem persönli­chen Einsatz.
Dieser „Exklusion“ steht nämlich in einem durchaus spannungsgeladenen Verhältnis zum Prozess, der während der Residency viele Din­ge sehr inklusiv hereinnehmen will. Reitsberger wird mit einem Set an Materialien einziehen, mit eigenen graphischen Arbeiten wie seinen figural orientierten Kreis­ar­beiten oder bewegungsorientierten Skripts, mit Bildarte­fak­ten, Objekten und Versatz­stüc­ken. Ausgangspunkt sind zu­meist Wandstrukturen, vernetzte Bild­grup­pen, die in einem allerersten Schritt durch einen „flexiblen und billigen Markierungspunkt“ auf die Wand gesetzt, in Beziehung gebracht werden. Marker, Klebe­bän­der, Pins, Nadeln leisten hier gute Dienste. Es wird eventuell kleine bau­liche Arbeiten geben, um „substanzschonend“ zu sein, wo mit Kör­pereinsatz performativ gearbeitet wird – um mit all diesen „Mate­ria­lien freiere Struktu­ren“ zu erzeugen, die da nicht so eindeutig be­nannt werden können. Denn durch die Schaffung von neuen Bezügen zwischen dem allseits Bestehendem entsteht neuer Raum, neue Ord­nung, es entstehen neue Kartographien, figurale Gebilde und Instal­la­tionen: „Je größer das wird, desto eindeutiger wird die Richtung, das ergibt eine gute Korrespondenz zur Waggonform“, so Reitsberger, der seine „Bild­ver­handlungen“ zwischen dinglicher Wesenhaftigkeit und abs­trakter Idee in der großen Form des Ganzen als „psychoaktive Ma­schine“ oder als „psychoaktives Gestell“ versteht: „Es geht um die Kon­stellation und um die Rollen, die die einzelnen Dinge darin spielen, wie sich das alles in Verschränkung verhält“. Beispiele solcher Raum­ausschnitte sind auf dem nebenstehendem Bild wie auf dem spotsZ-Titelbild zu sehen.
In dieser Form ist die Verhandlung die erste öffentliche Arbeit (es gab zu­vor eine größere Arbeit in Berlin), es scheint dabei sehr viel in die Waagschale geworfen zu werden: Materialität, Ge­wich­tung, Dynamik, Form, nicht zuletzt Fragen von Identität und Be­rech­ti­gung. Es geht um Verhandlungen zwischen allen und allem – was einerseits nur mehr durch ein Ich als oberste Instanz zusammengehalten zu werden vermag, das sich aber seinerseits völlig zu abstrahieren scheint und sich dabei selbst zu erhalten sucht. Die Räume scheinen allemal auf mehren Ebenen mit den BetrachterInnen zu kom­munizieren.

Joseph Reitsberger, „lebt, arbeitet und schläft“. Projektphase: 15.-25. Sept. (0.00-24.00 h), Projektabschlussfeier: 26. Sept. (20.00 h), Ort: Mühl­kreis­bahnhof Urfahr, Kaarstraße, gegenüber dem Franz Hillinger Senorien­zen­trum. Bei Interesse an einer Einladung zur Projektabschlussfeier Email an info@zweitausendsechs.at.

Joseph Reitsberger ist 1973 geboren, aufgewachsen auf einem Bauernhof im Innviertel, gelernter Drucker und seit 2007 Student an der Kunstuniversität Linz.

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09/08
FotoautorInnen: 
Verena Henetmayr

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