Eröffnete Verhandlungsräume
„Ich kann nicht reden, ohne zu zeichnen“, sagt Reitsberger, während er skizziert. Was, wie er weiter anmerkt, ein Zitat von jemandem ist, dessen Namen ihm leider entfallen ist (er „vergisst“ anscheinend auch. Macht nichts). Jedenfalls sei für seine Arbeit der Zusammenhang von Zeichnen und Sprechen insofern symptomatisch, als dass er auch in seiner künstlerischen Arbeit „Denkfiguren und Ideen verankert“, die er als Zustand oder Prozess bildhaft werden lässt. Und die in Weiterführung als Bilder auf unterschiedlichen Ebenen „verhandelt“ werden.
Zunächst befragt auf die Bedeutung seines bevorstehenden 10-tägigen Aufenthalt im mobilen Kunstraum von Z6 (Bericht siehe S. 2) und seine Beziehung zur zumindest potentiellen Mobilität des Waggons, meint Reitsberger, dass es eine ganz praktische Verbindung für ihn gebe: Er als Nicht-Führerscheinbesitzer sei ohnehin zu einem Zug-Arbeiter und Zug-Leser geworden, zudem könne er sich vorstellen, zukünftig vermehrt Aspekte wie Zonen, Orte, Beweglichkeit und „Arbeit in Bewegung“ in die künstlerische Arbeit zu integrieren. Andererseits bedeutet die Residency aber schlichtweg eine gute Gelegenheit, um „endlich wieder konzentriert arbeiten zu können, ohne an Verfügbarkeit von Raum an sich“ denken zu müssen. Ein Umstand, der viele Kunstschaffende betrifft, der hier aber um Aspekte der Verantwortung, des Belangs und der Skepsis weitergedreht wird. Es gehe nämlich neben der Funktionalität von Raum auch darum, „in einen Leerraum einzuziehen und diesen Raum wieder entsprechend zu hinterlassen“. Und mit etwaigen Hinterlassenschaften sind hier durchaus nicht Müll oder irgendwelche Kratzer an der Wand gemeint, sondern etwas, das als hohe psychoaktive Aufladung, mit der während des Aufenthalts gearbeitet wird, benannt werden kann und die am Schluss wieder herausgenommen werden muss – als inhaltliche Entkernung, Ausweidung, Auslösung. Übrig bleiben etwa für die Abschlussfeier der Residency die reine „Struktur“, was „Bilder ohne Aufladung“ meint, und eine später fertigzustellende Dokumentation, die unter anderem als fotografisches Doppelpanorama den Raum wiederaufzubauen vermag; andererseits die performative Körperarbeit durch Video festhalten soll. Jedenfalls soll das so entstandene Material eine Veränderung über 10 Tagen dokumentieren und auch einen Prozess, der nach außen zwar möglichst offen bleibt, aber in seiner inhaltlichen Fassung kaum benennbar, undurchsichtig, weit gestreut wirkt: Kunst zu generieren wird hier in gewisser Weise zu einer abgeschlossenen Geheimsache, zu einer, wenn man so will, mystifizierten Exklusion mit hohem persönlichen Einsatz.
Dieser „Exklusion“ steht nämlich in einem durchaus spannungsgeladenen Verhältnis zum Prozess, der während der Residency viele Dinge sehr inklusiv hereinnehmen will. Reitsberger wird mit einem Set an Materialien einziehen, mit eigenen graphischen Arbeiten wie seinen figural orientierten Kreisarbeiten oder bewegungsorientierten Skripts, mit Bildartefakten, Objekten und Versatzstücken. Ausgangspunkt sind zumeist Wandstrukturen, vernetzte Bildgruppen, die in einem allerersten Schritt durch einen „flexiblen und billigen Markierungspunkt“ auf die Wand gesetzt, in Beziehung gebracht werden. Marker, Klebebänder, Pins, Nadeln leisten hier gute Dienste. Es wird eventuell kleine bauliche Arbeiten geben, um „substanzschonend“ zu sein, wo mit Körpereinsatz performativ gearbeitet wird – um mit all diesen „Materialien freiere Strukturen“ zu erzeugen, die da nicht so eindeutig benannt werden können. Denn durch die Schaffung von neuen Bezügen zwischen dem allseits Bestehendem entsteht neuer Raum, neue Ordnung, es entstehen neue Kartographien, figurale Gebilde und Installationen: „Je größer das wird, desto eindeutiger wird die Richtung, das ergibt eine gute Korrespondenz zur Waggonform“, so Reitsberger, der seine „Bildverhandlungen“ zwischen dinglicher Wesenhaftigkeit und abstrakter Idee in der großen Form des Ganzen als „psychoaktive Maschine“ oder als „psychoaktives Gestell“ versteht: „Es geht um die Konstellation und um die Rollen, die die einzelnen Dinge darin spielen, wie sich das alles in Verschränkung verhält“. Beispiele solcher Raumausschnitte sind auf dem nebenstehendem Bild wie auf dem spotsZ-Titelbild zu sehen.
In dieser Form ist die Verhandlung die erste öffentliche Arbeit (es gab zuvor eine größere Arbeit in Berlin), es scheint dabei sehr viel in die Waagschale geworfen zu werden: Materialität, Gewichtung, Dynamik, Form, nicht zuletzt Fragen von Identität und Berechtigung. Es geht um Verhandlungen zwischen allen und allem – was einerseits nur mehr durch ein Ich als oberste Instanz zusammengehalten zu werden vermag, das sich aber seinerseits völlig zu abstrahieren scheint und sich dabei selbst zu erhalten sucht. Die Räume scheinen allemal auf mehren Ebenen mit den BetrachterInnen zu kommunizieren.
Joseph Reitsberger, „lebt, arbeitet und schläft“. Projektphase: 15.-25. Sept. (0.00-24.00 h), Projektabschlussfeier: 26. Sept. (20.00 h), Ort: Mühlkreisbahnhof Urfahr, Kaarstraße, gegenüber dem Franz Hillinger Senorienzentrum. Bei Interesse an einer Einladung zur Projektabschlussfeier Email an info@zweitausendsechs.at.
Joseph Reitsberger ist 1973 geboren, aufgewachsen auf einem Bauernhof im Innviertel, gelernter Drucker und seit 2007 Student an der Kunstuniversität Linz.
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