Animal Farm
Wenngleich im Einleitungstext zur Ausstellung Tiere als das „älteste Motiv der Menschheits- und Kunstgeschichte“ mit einem Stichwort auf die Höhlenmalerei der Steinzeit erwähnt werden, so geht es bei „animal farm“ sicher nicht um einen kunsthistorischen Abriss der Tiersymbolik oder um eine Thematisierung einer wie auch immer gearteten Kulturgeschichte des Tier-Mensch Verhältnisses. Vielmehr geht es den Ausstellungsbetreibern darum, durch zeitgenössische bildnerische Positionen verschiedenen Relevanzen eines Themas nachzuspüren und durch die Präsentation diverser künstlerischer Haltungen „den Raum zum Schwingen zu bringen“. Das Besondere dabei ist, dass in der Auswahl und Präsentation der Werke eine Art dramaturgischer Bogen gespannt zu sein scheint, der laut Galeriechef Günther Mayer zuerst die konkret vorhandene Arbeit von Künstlern zum Anlass nimmt („Der Kontakt zu Künstlern ist immer ein langfristiger“), diese in einem spielerisch-konzeptuellen Prozess in kleinem Rahmen zusammenstellt, um danach der Wirkung dieser Auswahl nachspüren zu können („Das ist ein sehr subjektiver Zugang, sowohl für die Macher als auch für die Künstler. Das geht, wenn es sich um authentische Kunst jenseits von Zeitgeist handelt“). Dieser Zugang eröffnet vielerlei mögliche neugierige Blicke, es geht für alle Beteiligten um Irritation, Korrespondenz und Reibung zwischen Arbeiten, die im Raum substanziell Bereicherndes entstehen lassen. Und die den Faktor einer gelungenen Ausstellung, die den Überraschungseffekt am Ende nicht ausschließt, offen hält (Günther Mayer zitiert Otto Mauer: „Manche Galeristen machen hin und wieder auch gute Ausstellungen“). Auffallend ist das deshalb, weil damit für den Betrachter/die Betrachterin ein ungewohnter Aspekt einer transparenten Sichtbarmachung von künstlerischen Positionen ins Spiel kommt, die mit einer Dramaturgie des eigenen, sehenden Fühlens arbeitet: Es tritt anstelle von theoretischer Schwere ein dramaturgisches Geflecht von thematischen Aspekten in den Raum, das sich, miteinander in Beziehung gesetzt, in aller Fülle und Leichtigkeit unspektakulär ineinander verwebt.
Betritt man den Ausstellungsraum, eröffnet sich zuerst die Komposition des Raumes. Um eine zentral platzierte Installation von Gernot Wieland sind einander schräg gegenüber Fotoarbeiten von Rudolf Sagmeister und Ivo Kocherscheidt gehängt. Quer über den Raum verteilt verbinden die altmeisterlich gearbeiteten Ölbilder von Haruko Maeda und bilden den Außenradius zur zentrierenden Installation.
Mit Maeda zu beginnen, bietet sich an, weil sie das Thema Tiere insofern in einen Superlativ gebracht zu haben scheint, als dass sie mit altmeisterlicher Technik dekorative wie unheimliche Fabelwesen erschaffen hat, die sich im Stil des phantastischen Realismus dem Betrachter reichhaltig offenbaren: Auf hübsch verzierten, ornamental bemalten Kissen und Teppichen sitzen Tiergebilde, die sich aus Zebra, Hund, Gazelle und dem Schweif eines Eichhörnchens zusammensetzen, oder aus Elchgeweih, Einhorn, Lama und den zarten Flügeln eines Insekts. In düster musealer Bildstimmung sehen die Tiere gleichsam niedlich wie tot aus und werden meist von Schmetterlingen und Käfern umschwirrt. Es kann aber auch sein, dass ein unschuldig-böses Äffchen, das selbst Schmetterlingsflügel hat, die Schmetterlinge mit seinen Fingerchen und Zehen zerquetscht. Thematisch schweben die Bilder zwischen der spielerischen Freude der Naturnachahmung und der gefährlichen Lust der Übersteigerung. Assoziationen zu einem urbayrischen Thema wie dem Wolpertinger, der als Hase/Hirschgeweihmutation aus der Lust des Präparators an der skurrilen Komik entstand, sowie zu einer völlig übersteigerten, quasi japanischen Spielzeugphantasiewelt werden wach. Eine andere Assoziation drängt sich auf, die sich aus dem Themenzusammenhang der Neuschaffung von Leben ergibt. Wie aus Genlabors entstiegen sitzen die Tiere da wie Mahnmale ihrer eigenen misslungenen Geburt. Und erzählen gleichzeitig eine phantastische Geschichte des Formenreichtums der Natur, ein dunkler Zoo in einem Bild. Es entsteht der Eindruck, dass hier die Evolution getoppt werden soll und dieses Bedürfnis gleichzeitig museal ist, denn durch die Art der Darstellung, der gewählten Form scheint ein weiterer Rückgriff auf die Kunstgeschichte möglich zu sein. Wie in der Vanitasmalerei der wunderschön komponierten Blumengestecke wird die Schönheit von der Vergänglichkeit begleitet, in dem kleine Käferchen, Schmetterlinge ins Bild gesetzt wurden, die schon beizeiten am Zersetzungsprozess arbeiten. Der Hang nach Skurrilem, der Wunsch nach einer eierlegenden Wollmilchsau der Phantasie funktioniert jedenfalls auch vom Interesse der Kunstsammler, Maeda wird von der Linzer Galerie Simone Feichtner vertreten.
Als Kontrapunkt zur Düsternis besticht die schwerelose Leichtigkeit des Meeres in Form von Ivo Kocherscheidts Fotoarbeiten, die sich auf 12 mittelformatige schwarz/weiß-Bilder von Quallen und Oktopussen, sowie auf ein großformatiges Farbbild eines Humboldtkalmars, eines „roten Teufels“ aufteilen. Es handelt sich um Unterwasserbilder, die im Auftrag des Magazins „mare“ entstanden sind und die die faszinierende Schönheit des Elements Wasser (auch) im Zusammenhang der Bildillustration einfangen. Als einer dem Text beigestellte Dokumentation von Natur sind die Arbeiten per se nicht inszeniert und insofern schwierig herzustellen, als dass man sich neben dem künstlerischem Fachwissen umfangreiche Kenntnisse über das Tauchen und über Tiere in ihrem natürlichem Lebensraum aneignen muss, um die Tiere, wie Kocherscheidt nachgesagt wird, „von ihrer besten Seite“ zeigen zu können. Kunst ist durch die Position des Fotografen an einer Schnittstelle zum Wissenschaftsjournalismus (wieder) in die Richtung einer Expedition gerückt – in zwar bereits reichlich beschriebene, dennoch unbekannte Tiefen ausgerichtet. Fremde Wesen wie Riesenkalmare bestechen Forscher gleichermaßen durch ihre Intelligenz wie ihre kannibalistische Ader, arktische Narwale, Kocherscheidts nächster Fotoauftrag, leisteten etwa der mittelalterlichen Legende des Einhorns phantastischen Vorschub.
Als inhaltliche Antipode des gleichen Mediums hängt eine Serie von Fotoarbeiten Rudolf Sagmeisters schräg gegenüber, der sich im Gegensatz zu Kocherscheidts lebendigen, schwer einzufangenden Objekte auf tote Objekte fokussiert hat, auf Bilder der Erde und der Verwesung im Mikrokosmos. Gleichermaßen Kunsthistoriker und Kurator hat sich Sagmeister unter anderem auf die Darstellung der ästhetischen Schönheit dieser Prozesse verschrieben. Er sei „ein bequemer Mensch, der keinen Sport betreibe“ und wähle sich deshalb Objekte und Dinge, die er im Garten findet und die „nicht mehr davonlaufen“, sagt Sagmeister bei der Ausstellungseröffnung. Eine Serie von mittelformatigen Bildern thematisieren dementsprechend Elemente und Strukturen der Zersetzung und das neue Wachsen aus dem Fleisch. Zu sehen sind unter anderem ein im Teich ertrunkener Vogel, ein Igel mit kleinen Blüten im Nasenloch, Stacheln, Maden, Pflanzen und Sporen, ein zerquetschtes Katzengesicht, Wunden, grüne Blätter, kleine Blüten. Das Grausliche und Poetische liegen jedenfalls ganz nah zusammen – so wie die beständigen Uraltthemen der Menschheit Tod und Eros die Geburt des Neuen aus dem Alten feiern. Man ist versucht zu sagen, dass das, was bei Haruko Maeda die Phantasie zustande bringt, bei Sagmeister die Verwesung schafft, es entstehen Fauna-Flora-Hybride aus Tod und Leben, die Monströsität des natürlichen und unnatürlichen Todes inbegriffen.
Als die Ausstellung zentrierende, offene Einheit befindet sich in der Mitte des Raumes eine Installation von Gernot Wieland, der im Grenzgebiet von Kunst und Wissenschaft arbeitet. Die in der Galerie der Stadt Wels ausgestellte Installation bezieht sich auf das Leben des Autors Truman Capote und dessen Leiden an der autoritären Gesellschaft. Wieland hat auf den Ausstellungstitel „Animal Farm“ insofern reagiert, als dass er den literarischen Bezug des titelgebenden Orwell’schen Epos „Animal Farm“ weitergeführt hat, aber dessen politische Projektion in Richtung einer soziologisch/individuellen Position verrückt hat, die das Verhältnis der Psychiatrie zur Gesellschaft zur Schau stellen. Capote, ein exzentrischer Mensch zwischen Ruhm, Drogen und Psychiatrie, der maßlos, offen schwul und offensiv lebte, halluzinierte in seinem literarischen Werk „Other Rooms, Other Voices“ die immer selben Gegenstände: Eine mit einem weißen Tuch verhängte Vogelvoliere und ein auf ein helles, maßlos nahes Licht fokussiertes Fernrohr. Auf der Linse des Fernrohrs ist eine Vogelsilhouette aufgebracht, die im Blick durch das Fernrohr nur verschwommen erkennbar ist. Das extrem verstärkte Perspektivenspiel zwischen Nah und Fern zieht den Gegenstand der Betrachtung derartig in die Nähe, dass der eigentlich in der Ferne fliegende Vogel zum Teil des Beobachtungsgerätes selbst geworden ist. Ein übermächtiges Licht, eine relativ aus der Aufmerksamkeit gerutschte, verhängte Voliere begleiten die irreale Situation der psychischen Verrückung und des erkenntnistheoretischen Paradoxons um das Beobachten selbst. In gewisser Weise bildet diese Arbeit den schillernden-kranken Gegenpart zur Phantasie, den inneren Gegenpart zu einer „natürlichen“ Gesellschaft, die Animus, Anima und Animal bereits längst inhaftiert hat. Eine der vorangehenden Arbeiten stellt übrigens die fiktive Arbeit eines Mannes in der Psychiatrie dar, der als Vogelforscher wissenschaftliche Werke anfertigte, die allesamt als Fiktion von Wieland simuliert wurden. Wieland wird durch die Wiener Galerie Andreas Huber vertreten.
Ausstellung „animal farm“: 09. Mai-22. Juni 2008
www.galeriederstadtwels.at
& Drupal
spotsZ - Kunst.Kultur.Szene.Linz 2006-2014